Mit einem harten Kurs bei der Migration lassen sich Stammwähler binden, aber keine neuen Wähler-Milieus erschließen. Die Partei versucht den Spagat.

Die CDU will endlich eine Haltung zum großen Thema Zuwanderung finden, die von der gesamten Partei gemeinsam vertreten werden kann. Diesem Zweck dient an diesem Dienstag auch ein sogenannter „fraktionsoffener Abend“, zu dem der Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz auch den Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, den Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen und den Migrationsforscher Daniel Thym eingeladen hat. Es soll debattiert werden, „bis die letzte Frage der Teilnehmer beantwortet ist“, heißt es aus der Fraktionsführung. Beschlüsse sollen nicht gefasst werden. Dennoch sollen sie nicht lange auf sich warten lassen. Bis Anfang März soll als Ausfluss aus der Tagung ein Positionspapier der Fraktion vorliegen, das auch in die Beratungen über ein neues Grundsatzprogramm der Partei eingehen soll. Dieses soll auf dem Bundesparteitag im Mai 2024 verabschiedet werden.

 

Schäuble warb für Stichtagsregelung

Wie schädlich es für die Partei ist, dass die Union bislang nicht in der Lage ist, bei diesem Thema mit einer Stimme zu sprechen, zeigte sich etwa im November, als im Bundestag über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem „Chancen-Aufenthaltsrecht“ abgestimmt wurde. Es soll seit langem hier lebenden Menschen mit Duldungsstatus eine dauerhafte Bleibeperspektive geben.

Die Union lehnte mehrheitlich ab, aber eine durchaus prominente Gruppe von Unionsabgeordneten, darunter auch Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet, enthielten sich der Stimme. Ihnen ging der Regierungsentwurf zwar zu weit. Aber sie waren der Meinung, dass die Union gut integrierten und seit langem hier lebenden Menschen eine Hoffnung geben müsse. Auch Wolfgang Schäuble hatte im Vorfeld für eine Stichtagsregelung für diese Personengruppe geworben. Letztlich scheiterte das am Widerstand der Innenpolitiker in der Fraktion.

Neue Debatte über Obergrenzen

Das ist nicht der einzige Punkt, an dem klar wurde, dass die Union keine gemeinsame Sicht auf die Zuwanderung hat. So erntete Parteichef Merz auf der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands in Weimar jüngst deutliche Kritik für seine Wortwahl bei der Kommentierung der Silvesterkrawalle. In einer Talkshow hatte er sich über die „kleinen Paschas“ auf deutschen Schulhöfen beschwert. Zwar waren seine Äußerungen insgesamt differenzierter, aber das „Pascha“-Wort blieb hängen. Und schließlich haben Unionspolitiker, darunter mit Alexander Throm auch der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, eine neue Debatte über eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen begonnen. Auch das löste in manchen Parteikreisen Kopfschütteln aus.

Auch die Wirtschaft schaut auf die Zuwanderungspolitik der Union

Der gesamte Themenkomplex hat für die Partei eine doppelte strategische Bedeutung. Zum einen, weil die Debatten im Zuge der Flüchtlingsaufnahme im Jahre 2015 für die Union ähnlich aufwühlend waren wie etwa für die SPD das leidige Hartz-IV-Thema. Eine neue Einheit in diesen Fragen hätte erhebliche befriedende Wirkung in der Partei. Andererseits weiß die CDU-Spitze, dass es in Hinblick auf künftige Wahlerfolge nicht reicht, die längst Überzeugten mit markigen Worten noch fester an die Partei zu binden. Die CDU braucht dringend neuen Zuspruch in Wähler-Milieus, die entweder selbst migrantisch geprägt oder offen für weitere Zuwanderung sind. Aber auch die Wirtschaft mit ihrem riesigen Bedarf an Facharbeitern schaut genau auf die Zuwanderungspolitik der Partei.

Merz sieht die strategische Bedeutung des Themas

In diesem Zusammenhang gibt es in der CDU durchaus Stimmen, die mit Sorge beobachten, dass die Sprache des Vorsitzenden („Sozialtourismus“, „kleine Paschas“) wenig geeignet ist, der Partei Zugang zu neuen Wählerschichten zu verschaffen. Friedrich Merz hat diese Signale durchaus verstanden und räumt intern hier erheblichen Nachholbedarf ein. So gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass unter seiner Führung die Festschreibung einer Obergrenze bei der Zuwanderung eine Chance hat. Auch hat er bereits klar gemacht, dass sich die CDU einer Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechtes nicht verschließen werde. Dass vor allem in der CSU angesichts der Reformpläne der Bundesregierung zur schnelleren Einbürgerung von einer „Verramschung“ der deutschen Staatsbürgerschaft gesprochen wurde, hat Merz nicht gefallen, wie er intern sehr deutlich machte.