Der Südwesten hat im Jahr 2015 so viele Flüchtlinge wie nie zuvor aufgenommen, auch die Zahl der Abschiebungen hat sichverdoppelt. Im ehemaligen Pforzheimer Jugendgefängnis sollen künftig abgelehnte Asylbewerber unterkommen.

Stuttgart - Baden-Württemberg hat im vergangenen Jahr so viele Flüchtlinge aufgenommen wie nie zuvor. Laut dem Integrationsministerium sind im Jahr 2015 insgesamt genau 101 041 Asylsuchende im Südwesten angekommen. Davon hätten rund 98 000 Flüchtlinge das erste Mal einen Antrag auf Asyl gestellt, teilte Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) am Mittwoch mit. Im Vergleich zu 2014 sei das fast eine Verdreifachung – auch der bisherige Rekordzugang aus dem Jahr 1992 (51 609 Erstantragsteller) wurde damit weit übertroffen. Rund 185 000 Menschen sind im Laufe des Jahres in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) im Südwesten angekommen. Etliche haben diese aber nach kurzer Zeit aufgrund einer Weiterverteilung in andere Einrichtungen, Bundesländer oder EU-Länder wieder verlassen.

 

Gleichzeitig hat sich die Zahl der Abschiebungen im Südwesten im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. „Wir müssen die Zahl der Rückführungen weiter erhöhen“, sagte der Innenminister Reinhold Gall am Mittwoch. Nach Angaben des Ministeriums gab es bis Ende November 2449 Abschiebungen sowie 5289 freiwillige Ausreisen. „Das sind in beiden Bereichen doppelt so viele wie im Jahr davor“, sagte Gall. Es gebe derzeit rund 25 000 Geduldete, die ausreisepflichtig sind. „Wir machen ihnen deutlich, dass sie zurückkehren müssen“, sagte der Minister. Dabei will das Land versuchen, auf Freiwilligkeit setzen.

Bei ungeklärter Identität können Behörden nicht ausweisen

Für die freiwilligen Rückführungen seien im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Euro eingeplant gewesen. Den Abschiebekandidaten werde geholfen, die Rückreise mit einem Charterflug oder mit Bussen anzutreten. Ausweisen könnten die Behörden aber nur, wenn keine Hindernisse – wie etwa Krankheit oder ungeklärte Identitäten – vorlägen. „In den ersten beiden Monaten des Jahres machen wir sechs Sammelcharter. Das ist viel mehr als sonst“, sagte Gall.

Aus sicht der CDU müssen die Bundesländer viel mehr abgelehnte Asylbewerber als bisher abschieben – möglichst 1000 am Tag. Bei täglich mehr als 2000 Asylentscheidungen werde jeder zweite Antrag abgelehnt, sagte Generalsekretär Peter Tauber der „Rheinischen Post“. Damit stünden die Länder „in der Pflicht“, täglich 1000 abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Auch der CDU-Spitzenkandidat zur Landtagswahl Guido Wolf hatte von Grün-Rot mehr Anstrengungen gefordert, die Zahl der Migranten zu reduzieren. Gall wies diese Vorwürfe zurück. „Abschiebehindernisse kann auch der Herr Wolf nicht beseitigen.“ Bei der Vielzahl der Menschen sei das Problem logistisch kaum schneller lösbar.

In Pforzheim sollen 80 Haftplätze für Flüchtlinge entstehen

Unterdessen wird trotz heftiger Proteste in Pforzheim das dortige Jugendgefängnis zum zentralen Abschiebegefängnis für Baden-Württemberg umgebaut. Das Land will dort abgelehnte Asylbewerber unterbringen, bei denen der begründete Verdacht besteht, dass sie sich der Abschiebung entziehen und untertauchen könnten. Der Pforzheimer OB Gert Hager (SPD) zeigte sich enttäuscht. Er habe mehrfach dem Land die Bedenken gegen die Abschiebehaftanstalt vorgetragen. „Unsere Bedenken haben leider keinen Einfluss auf die Entscheidung gehabt“, sagte er. Ebenso wenig sei der Wunsch nach Anrechnung auf die Aufnahmequote von Flüchtlingen berücksichtigt worden. „Darüber sind wir alles andere als begeistert“, sagte Hager.

Die Stadt befürchtet, dass der durch eine große Flüchtlingsunterkunft mit mehr als 250 Bewohnern sowie weiteren Unterkünften stark belastete Ostteil der Stadt durch das Abschiebegefängnis mitten im dicht bebauten Wohnumfeld weitere Probleme anziehen könnte – wie etwa durch Demonstrationen von Abschiebungsgegnern. Derzeit sind in Pforzheim rund 1340 Flüchtlinge untergebracht, dabei sind die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen noch nicht mitgerechnet. Das Abschiebegefängnis ist seit Jahresbeginn als Einrichtung dem Innenministerium unterstellt. Seit Montag wird der ehemalige Jugendknast umgebaut – die 40 jungen Strafgefangenen sind in das Jugendgefängnis Adelsheim (Neckar-Odenwald-Kreis) verlegt worden. 25 der 70 Justizangestellten werden in Pforzheim bleiben, die anderen arbeiten in anderen Justizvollzugsanstalten des Landes. Mit dieser Maßnahme setzt Gall ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2014 um.

Für Abschiebegefangene gelten bessere Bedingungen

Demnach dürfen Abschiebegefangene nicht gemeinsam mit Strafhäftlingen untergebracht werden. Sie haben Anspruch auf bessere Bedingungen, wie auf mehr Freizeitmöglichkeiten, zudem sollen Familien zusammen wohnen dürfen. Seit dem Urteil hatte das Land die Abschiebehäftlinge mangels einer eigenen Einrichtung in Rheinland-Pfalz unterbringen müssen. Anfang April sollen die ersten 20 Plätze in Pforzheim belegt werden, insgesamt wird es Platz für 80 Flüchtlinge geben. Das Innenministerium geht davon aus, dass dies ausreichend sei für das ganze Land. Im Regelfall werden abgelehnte Asylbewerber ohne Ankündigung des Termins und zumeist mitten in der Nacht von der Polizei aus den Gemeinschaftsunterkünften oder Wohnungen abgeholt und direkt zum Flugplatz gebracht, sagt ein Sprecher des Ministeriums.

In Abschiebehaft komme nur, wer seinen Aufenthaltsort gewechselt, seine neue Anschrift nicht mitgeteilt und bei einer Kontrolle aufgegriffen werde. Oder auch wenn Fluchtgefahr bestehe, der begründete Verdacht also, dass sich der abgelehnte Asylbewerber seiner Abschiebung entziehen wolle. Zudem bedürfe es für eine Einweisung einer richterlichen Anordnung. Die Abschiebehaft dürfe maximal sechs Monate dauern. Die Zeit benötigt man häufig, um Ausreisepapiere zu beschaffen und mit den jeweiligen Herkunftsstaaten zu verhandeln.

Die meisten Flüchtlinge sind Syrer, Afghanen und Iraker

Im vergangenen Jahr sind rund 185 000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen, darunter sind 98 000 im Südwesten geblieben. Die größten Gruppen der Asylbewerber bilden Syrer (rund 35 900), Afghanen (rund 11 700) und Iraker (rund 10 700). Antragsteller aus Algerien und Tunesien machen nur einen Anteil von 1,51 Prozent beziehungsweise 0,66 Prozent an der Gesamtzahl der Antragsteller aus. Asylbewerber aus Nordafrika haben geringe Chancen, als Asylbewerber anerkannt zu werden, da ihre Heimat zu den „sicheren Herkunftsstaaten“ zählt. Alle Mitgliedstaaten der EU zählen zu den sicheren Herkunftsstaaten, sowie die sechs Westbalkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Montenegro, Albanien und Kosovo und die afrikanischen Staaten Ghana und Senegal.

CDU und CSU fordern, die Liste der sicheren Herkunftsländer um zwölf zu erweitern – darunter Mali, Indien, Algerien und die Ukraine. Laut der CSU sollten auch Marokko und Tunesien auf die Liste gesetzt werden