Das Betrugsgeflecht der einst in Herrenberg ansässigen Firma EN Storage wird wohl nicht entwirrt. Ein Gefängniswärter hat Lutz Beier leblos in seiner Zelle gefunden.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Schuld oder Unschuld werden nicht mehr aufgeklärt. Stirbt ein Angeklagter, stellt die Justiz das Verfahren gegen ihn ein. Lutz Beier ist vor einer Woche leblos in seiner Zelle in Stuttgart-Stammheim gefunden worden. Dort saß der ehemalige Geschäftsführer der einst in Herrenberg ansässigen Betrugsfirma EN Storage in Untersuchungshaft.

 

Der Prozess gegen ihn hatte am 3. Juli begonnen. Mehr als 40 Mal hat seither die 20. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart gegen Beier verhandelt. Der Angeklagte hatte seine Unschuld beteuert. Allein sein Kompagnon Edvin Novalic sei dafür verantwortlich, dass rund 5000 Kleinanleger geprellt und mehr als 90 Millionen Euro verschoben wurden.

Laut Obduktionsbericht war die Todesursache zweifelsfrei eine natürliche

Beiers Leichnam ist obduziert worden. Das Ergebnis der Untersuchung lautet, dass „die Todesursache zweifelsfrei eine innere war“. So sagt es Heiner Römhild, der Pressesprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Beier war allein in seiner verschlossenen Zelle gestorben. Ein Gefängnisaufseher hatte ihn gefunden. Bei den Verhandlungsterminen war dem 54-Jährigen keinerlei Krankheit anzusehen. Er hatte sich mit Boxtraining fit gehalten. Vor Gericht war er stets selbstbewusst und bestimmt aufgetreten.

Die Staatsanwaltschaft untersucht die Hintergründe seines Todes tiefer, um eine fremde Schuld gänzlich auszuschließen. Die Obduktion habe aber „eindeutig eine medizinische Ursache ergeben“, sagt Römhild. In seinem einstigen Wohnort Herrenberg kursiert das Gerücht, der Ex-Geschäftsführer sei erschlagen worden. „Das ist Kokolores“, sagt Römhild, „es war ein gesundheitlicher Defekt“. Genaueres zur Todesursache gibt die Staatsanwaltschaft nicht bekannt. Beier sei aber auch nicht gefallen oder habe sich anderweitig verletzt.

Viele Betrogene hatten auf Aufklärung gehofft

Mit seinem Tod dürfte die Hoffnung vieler Betrogener dahin sein, dass ein Prozess das Betrugsgeflecht entwirrt. Das Verfahren gegen Edvin Novalic hatte nur wenige Tage gedauert und den jahrelangen Betrug allenfalls an seinem Rand erhellt. Der gesamte Geschäftsbetrieb war frei erfunden. Angeblich hatte EN Storage mit Anlegergeld Datenserver gekauft und sie an Großkunden weitervermietet. Beide existierten nicht. Von der Rechnung bis zur Geschäftskorrespondenz waren sämtliche Unterlagen gefälscht. Das verschwundene Geld floss über Briefkastenfirmen ins Ausland. Novalic hatte gestanden. Der einstige technische Geschäftsführer wurde zu knapp acht Jahren Haft verurteilt und sitzt seither im Ulmer Gefängnis seine Strafe ab.

Die Gerichte beschäftigen sich weiterhin mit EN Storage

Trotz Beiers Tod werden sich weiterhin Gerichte mit dem Fall EN Storage beschäftigen, in Straf- wie in Zivilprozessen. Beiers Ehefrau war gemeinsam mit ihm angeklagt worden, wegen Beihilfe. Auch die einstige Buchhalterin und Steuerberaterin beteuert, vom Betrug nichts gewusst zu haben.

Offen ist noch, ob ein Verfahren gegen einen der Wirtschaftsprüfer eröffnet wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Mann, der Anlegern beglaubigt hatte, dass von ihrem Geld tatsächlich Datenspeicher gekauft worden waren. Eine in Stuttgart ansässige Prüferkanzlei hatte dem Unternehmen stets glänzende Geschäfte bescheinigt. Keine Bilanzprüfung habe je zu einer Beanstandung geführt, hatten die Prüfer wissen lassen. Dieses Versagen ist strafrechtlich aber irrelevant. Ermittelt wird ausschließlich gegen den einen Prüfer.

Womöglich wird die Kanzlei trotzdem haften müssen. Eine Reihe Betrogener versucht – ebenfalls vor dem Landgericht Stuttgart – Schadenersatz einzuklagen, gegen die Kanzlei und gegen Anlageberater. Am 30. Januar soll ein Urteil fallen. In einem Zwischenbescheid hatte das Gericht bereits wissen lassen, dass es Gründe für eine Haftung der Prüfer erkenne.

(In einer früheren Version des Textes hieß es, Edvin Novalic verbüße seine Strafe als Freigänger. Dies ist nicht der Fall.)