„Schönste Frau Deutschlands“ kann sich die „Miss Germany“ nicht mehr nennen - denn die Veranstalter des Wettbewerbs betonen, es gehe nicht mehr so sehr ums Aussehen, sondern um Charakter und Botschaft der Frauen. Was bringt so ein Titel - gerade in Corona-Zeiten?

Rust - Im Februar 2020 wurde sie gewählt, im März kam der erste Corona-Lockdown: Leonie von Hase hat als „Miss Germany“ ein ziemlich ungewöhnliches Jahr erwischt. Da gab es kaum öffentliche Auftritte mit Schärpe und Applaus, die zumindest früher zwingend zum Job dazugehörten - doch von Hase scheint damit nicht allzu sehr zu hadern. „Es war im Großen und Ganzen ein recht unspektakuläres Jahr“, sagt die 36-Jährige kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Aber da sie keine genaue Vorstellung von ihrem Leben als Miss gehabt habe, habe es auch „keine riesengroße Enttäuschung“ gegeben.

 

Am Samstag (27. Februar) muss von Hase ihren Titel abgeben, denn dann wird in Rust bei Freiburg eine neue „Miss Germany“ gewählt - live bei Youtube und zum zweiten Mal mit einem rundum erneuerten Konzept. Es soll wie schon 2020 nicht mehr vorrangig ums Aussehen der Kandidatinnen gehen, sondern um deren Botschaft und die Fähigkeit, andere zu inspirieren und zu motivieren.

Das Alter ist nur eine Zahl

Hat das bei der Premiere geklappt - in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten? Von Hase, die in Namibia geboren wurde und heute ein Kleidungsgeschäft führt, sagt: ja. Zwar sei sie „massiv ausgebremst“ worden vom ersten Lockdown. Doch mit ihrer Botschaft, dass Alter nur eine Zahl sei und Frauen sich immer neu erfinden könnten, sei sie letztlich trotzdem zu den Leuten durchgedrungen.

„Wir alle verbringen ja gerade zu viel Zeit vor Bildschirmen“, sagt sie. Über die sozialen Medien habe sie direkt mit den Menschen in ihren Wohnzimmern kommunizieren können - ohne „Miss Germany“-Schärpe, die sie als Barriere empfunden hätte. „Ich glaube, auf Bühnen hätte ich mich nicht so wohlgefühlt.“ Bei Instagram etwa hat von Hase mehr als 14.000 Follower.

Der Wettbewerb habe sich sehr gewandelt

Klar gehe es als „Miss Germany“ immer noch auch darum, die Sponsoren zu repräsentieren. Aber der Wettbewerb habe sich doch sehr gewandelt: hin zu einer Plattform für Frauen, die es womöglich nicht in die Öffentlichkeit geschafft hätten. Sonst hätte sie sich auch gar nicht erst beworben, sagt von Hase.

Mit dem neuen Konzept reagierten die „Miss Germany“-Veranstalter auf die Kritik, der seit 1927 ausgetragene Wettbewerb sei nicht mehr zeitgemäß und stehe für ein antiquiertes Frauenbild. „Für uns ist heute die Ausstrahlung ausschlaggebend“, sagt Max Klemmer, der seit 2017 gemeinsam mit seinem Vater die „Miss Germany“-Geschäfte führt.

Mit seinem Großvater, der zuvor das Ruder in der Hand hatte, habe er ringen müssen, damit die klassische Miss-Wahl von einst sich neu aufstellen konnte. „Das war auch ein familiärer Kampf zwischen den Generationen.“ Jetzt arbeiteten aber alle zusammen. „Ich hoffe, dass es nicht als Marketinggag wahrgenommen wird.“

Diversität bei den Teilnehmerinnen

Heute gibt es keine Knigge-Trainings mehr. Die Frauen müssen nicht mehr vor einer männlich dominierten Jury schaulaufen, und auch Mütter dürfen teilnehmen. Insgesamt scheint man auf ein möglichst diverses Teilnehmerinnen-Feld Wert zu legen: In die Endauswahl geschafft haben es in diesem Jahr etwa eine Doktorandin mit künstlichem Darmausgang, eine Zeugen-Jehovas-Aussteigerin, eine alleinerziehende Mutter und ein Opfer von sexueller Gewalt. Eine Teilnehmerin, die „Miss Hamburg“, setzt sich gegen die Diskriminierung dicker Menschen ein.

Doch was bringt solchen Frauen der Titel „Miss Germany“? Ein Preisgeld gibt es schon einmal nicht zu gewinnen. Dafür winkten den Gewinnerinnen zum Beispiel Auftritte bei Podiumsdiskussionen und andere Aufträge, die auch Geld einbringen könnten - aber eben nicht die klischeehafte Autohaus-Eröffnung von früher, wie Klemmer betont. Einnahmen im sechsstelligen Euro-Bereich könnten dabei herumkommen. In diesem Jahr soll die Siegerin auch an der Entstehung einer Sonderausgabe des Magazins „Cosmopolitan“ mitwirken dürfen.

Die „Miss Germany“ als Botschafterin

Marcel Matischok, Karriereberater aus Stuttgart, sieht neue Möglichkeiten für die Trägerin des „Miss Germany“-Titels. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Siegerin heute weniger repräsentiert als vielmehr aktiv präsentiert - zum Beispiel Gruppen, die in unserer Gesellschaft bislang kaum präsent waren.“ Damit könnte sie der jeweiligen Gruppe als Botschafterin mehr Gewicht verleihen und beruflich mit der Sichtbarkeit der Gruppe mitwachsen. Das hänge aber davon ab, wie die Siegerin ihren Titel, ihre beruflichen Qualifikationen und Talente miteinander verbinde.

Von Hase erzählt, sie habe einige Jahres-Abos etwa von Kosmetik- und Schuhfirmen bekommen. Ihr sei ein Auto zur Verfügung gestellt worden. „Der Hauptgewinn war aber ein Management-Vertrag.“ Dadurch sei sie in den Genuss einer Eins-zu-eins-Betreuung gekommen, eine „rechte Hand“ habe ihr bei der Umsetzung von Ideen geholfen. „Das hätte ich gern forever.“