Viele bayerische Orte würdigen Joseph Ratzinger mit Ehrenbürgerwürde, Straßennamen, Büsten. Doch wegen seiner Verwicklung in den Missbrauchsskandal wächst das Unbehagen.

München - Auf der Homepage wird sofort klar, was der Gemeinde im südöstlichen Bayern mit ihren 2790 Einwohnern am wichtigsten ist: „Ein herzliches Grüß Gott in Marktl“, heißt es da, „dem Geburtsort unseres Papstes Benedikt XVI.“ Sein Geburtshaus ist zum Museum für Joseph Ratzinger gemacht worden, davor wurde ihm zu Ehren eine vier Meter hohe Stele errichtet. Zu besichtigen ist auch seine Taufkirche St. Oswald mit dem Taufstein. Benedikt XVI. ist Ehrenbürger von Marktl, das ist ja Ehrensache.

 

Zeit seines Lebens hat sich Benedikt XVI. sehr betont als Bayer bezeichnet. In Bayern hatte er vor seiner Wahl zum Papst am 19. April 2005 in verschiedensten Orten gelebt und gewirkt.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Wer ist Papst Benedikt XVI. emeritus?

Und nun? Was ist jetzt mit der Papstverehrung angesichts der Vorwürfe im Missbrauchsskandal? Marktls junge Bürgermeister Dittmann, mit Vornamen Benedikt, will Stellung nehmen, so gut es momentan eben geht. „Der Skandal ist schlimm“, sagt er. „Und es ist gut, dass das aufgedeckt wird.“ Auch ist ihm wichtig: „Die Betroffenen sollen im Mittelpunkt stehen.“

Der Skandal erschüttert die katholische Kirche in Deutschland

Laut dem Missbrauchsgutachten hat Benedikt XVI. Falschaussagen über seine Zeit als Erzbischof von München und Freising gemacht. Der Skandal erschüttert die ganze katholische Kirche in Deutschland. Nun wird sich auch der Gemeinderat von Marktl damit befassen müssen. Der emeritierte Papst hat in dieser Woche die Betroffenen von Missbrauch generell um Verzeihung gebeten. Die Vorwürfe, selbst vertuscht zu haben, weist der 95-Jährige strikt zurück.

Nächste Station ist Traunstein. Als Joseph Ratzinger zehn Jahre alt war, siedelte sich die Familie dort an. Die Kirche, die ebenfalls St. Oswald heißt, sah er als „heimatliche Pfarrkirche“ an. Auch in Traunstein ist Ratzinger Ehrenbürger, vor der Kirche steht seine Büste, 2011 erhielt ein zentraler Platz den Namen „Papst-Benedikt-XVI.-Platz“.

Die Büste in Traunstein könnte fallen

Stadt und Landkreis Traunstein haben eine Kommission gegründet mit dem Ziel, die „geäußerten Vorwürfe und damit verbundene Verantwortlichkeiten im Hinblick auf die örtliche Erinnerungs- und Würdigungskultur sachlich und fachlich einzuordnen“. Wenn nötig, sollten „Handlungsempfehlungen“ erarbeitet werden. Die Büste könnte also fallen.

Lesen Sie aus dem Plus-Angebot: Immer mehr Kirchenaustritte in der Region Stuttgart

Als Theologie-Professor zog es Ratzinger 1969 nach Regensburg, wo sein Bruder Georg den Domspatzen-Chor leitete. „Die ganze Stadt war stolz, als er 2006 Ehrenbürger wurde“, erinnert sich die Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) im Gespräch. Nun soll jede Fraktion im Stadtrat, so ihr Anliegen, über das Gutachten und seine Stellungnahme beraten und sich eine Meinung bilden. „Das sind wir den Opfern schuldig.“ Danach fallen Entscheidungen.

Brückenheiliger in Freising wird Benedikt nicht mehr werden

In Freising war Joseph Ratzinger von 1977 an Erzbischof von München und Freising, bevor er 1981 im Vatikan Präfekt der Glaubenskongregation wurde. Kardinal Friedrich Wetter folgte ihm im Bistum, auch er wird in dem Gutachten belastet.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Stuttgarter Stadtdekan befürchtet „Kernschmelze der Kirche“

Die Grünen im Stadtrat sind für den Entzug der Ehrenbürgerschaft, die CSU ist hin- und hergerissen. Erledigt hat sich der Plan, eine Benedikt-Statue auf der Korbinianbrücke aufzustellen, wo die Brückenheiligen stehen. Als solchen möchte ihn gerade niemand dort haben.

Benedikt mit Augenklappe

Kunstaktion
  Wirbel hat vor zwei Wochen die Künstlerin Monika Stein gemacht: Als sie in der „Tagesschau“ den Bericht über das Missbrauchsgutachten sah, fasste sie einen „spontanen Entschluss“, erzählt sie.

Skulptur
Sie fuhr ins nahe Traunstein und „verpasste der Büste eine schwarze Augenklappe“ – als Symbol des Nichtsehens. Dazu stellte sie ihre Skulptur eines „sich vor Scham windenden Bischofs“. Am Morgen danach war alles beseitigt, Stein bekam ihre Sachen aber unversehrt zurück.