Ein Rentner soll sich an seiner 18-jährigen, geistig behinderten Nichte vergangen haben. Das Gericht spricht ihn im Zweifel für den Angeklagten frei. Es konnte nicht klären, wer die Wahrheit sagt.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Waiblingen - Aussage steht gehen Aussage, objektive Spuren, die eine Straftat untermauern könnten, fehlen. „Wir konnten kein Urteil fällen, es stand 50 zu 50, was die Glaubwürdigkeit anging“, sagt der Vorsitzende Richter des Waiblinger Schöffengerichts, Steffen Kärcher, nachdem er den Freispruch in dem Prozess verkündet hat. Einem 70-jährigen Mann war vorgeworfen worden, im Sommer 2014 seine damals 18-jährige Nichte sexuell missbraucht zu haben. Da die junge Frau aufgrund einer geistigen Krankheit zu 80 Prozent behindert ist, warf ihm die Staatsanwaltschaft den sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person vor, was einer Vergewaltigung gleichkommt.

 

Der unbescholtene Rentner weist den Vorwurf entschieden zurück

„Ich bin sprachlos“, sagte der Rentner, nachdem die Plädoyers gehalten worden waren, und er die Gelegenheit hatte, vor dem Urteil das letzte Wort zu ergreifen. „Ich bin mein Leben lang nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, und jetzt werde ich eventuell sogar verurteilt.“ Die Staatsanwältin hatte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten gefordert, dazu eine Geldbuße von 1000 Euro als Bewährungsauflage. „Das stimmt nicht, was man mir vorwirft“, beteuerte der Angeklagte bereits in seiner Vernehmung. „Ich bin 70 Jahre alt, ich fang doch jetzt nicht mit so etwas an.“

Laut der Anklage soll sich der Mann am Nachmittag des 29. August 2014, einem Freitag, in seinem Wohnzimmer an der 18-Jährigen vergangen haben, die bei ihm und seiner Frau zu Besuch war. Er habe die junge Frau zuerst auf dem Sofa begrapscht und sie dann gezwungen, ihn mit der Hand zu befriedigen. Seine Frau, die Schwester der Mutter der 18-Jährigen, sei in der Zeit Duschen gewesen. Ein Umstand, den der Verteidiger in seinem Plädoyer hervor hob: Sein Mandant habe doch jeden Augenblick damit rechnen müssen, dass seine Frau in das Wohnzimmer kommt. „Kein Mensch sagt, wie lange er duschen wird. Das Bad war zudem nicht verschlossen.“

Ob sein gebrechlich wirkender Mandant überhaupt fünf Minuten habe stehen können, sei fraglich, so der Verteidiger. Die Betroffene hatte vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit berichtet, der Missbrauch habe im Stehen stattgefunden. Es sei auch unwahrscheinlich, so der Verteidiger, dass sein Mandant, dessen „Manneskraft“ bereits im Schwinden sei, versuche, eine so kurze Abwesenheit seiner Frau von wenigen Minuten auszunutzen, um solch ein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Kriminalpolizist ist von der Glaubwürdikeit des Mädchens überzeugt

Ein Kriminalbeamter, der die 18-Jährige kurz nach der Tat befragte, ist hingegen von deren Glaubwürdigkeit überzeugt. „Ich bezweifle, dass sie sich eine solche Sache überhaupt ausdenken kann“, sagte dieser vor Gericht. Der Teenager hatte sich am Morgen nach dem Besuch bei Onkel und Tante seiner Mutter anvertraut. „Da war ich erst Mal platt“, sagte letztere als Zeugin vor Gericht. Ihre Tochter sage immer, wenn ihr etwas auf der Seele liege. „Mama, ich hab da was machen müssen“, habe sie gesagt und dann erzählt, was passiert sei.

Sie habe ihre Schwester und ihren Schwager mit dem Vorwurf konfrontiert. Dieser habe alles abgestritten. Tatsächlich habe sie an dem Nachmittag, als Onkel und Tante ihre Tochter zu ihr nach Hause brachten, keinerlei Signale bemerkt, dass etwas nichts stimmte. Das selbe sagt auch die Frau des Angeklagten, der an dem Tag nichts aufgefallen war. Durch die Familie geht seit dem Sommer 2014 ein Riss. Ob das Urteil, das im Zweifel für den Angeklagten gefällt wurde, daran etwas ändern kann, ist fraglich. „Wir sind nicht in der Lage zu beurteilen, wer die Wahrheit gesagt hat“, so Kärcher.