Ein Mediator könnte die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals begleiten.

Korntal-Münchingen - Der evangelischen Brüdergemeinde will er keine Möglichkeit geben, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das ist Detlev Zanders erklärtes Ziel. „Davon werde ich nicht abrücken“, sagt der Mann, der die Missbrauchsfälle in den Korntaler Kinderheimen der Brüdergemeinde öffentlich gemacht hat. Daran werde auch die Neustrukturierung des Aufarbeitungskonzepts nichts ändern.

 

Knapp ein Jahr hat die paritätisch aus je drei Vertretern der ehemaligen Heimkinder und der Brüdergemeinde besetzte Steuerungsgruppe unter der Leitung der Erziehungswissenschaftlerin Mechthild Wolff ein Konzept für die Aufarbeitung entwickelt. Ende der vorigen Woche hat sie vorgeschlagen, die Steuerungsgruppe aufzulösen und die verschiedenen wissenschaftlichen Teilbereiche in die Verantwortung bereits benannter Juristen und Sozialwissenschaftler aus Landshut, Berlin und Köln zu übergeben. Für die historische Aufarbeitung, die Prävention sowie juristische Bewertung wären demnach unabhängige Wissenschaftler zuständig.

Die Diskussion über die Anerkennungsleistungen, die Erinnerungskultur sowie die – ebenfalls von den ehemaligen Heimkindern geforderte – geistliche Aufarbeitung sollten davon entkoppelt werden. Dafür könnte eine neue Steuerungsgruppe eingesetzt, sowie ein Mediator hinzugezogen werden, überlegt Wolff. Die Landshuter Professorin selbst würde sich auf die Wissenschaft beschränken.

Just dies hat bei den Vertretern der Betroffenen, unter ihnen Detlev Zander, Unmut ausgelöst. Für sie war die Zusage Wolffs wichtig, nicht nur die Verantwortung für den wissenschaftlichen Teil zu übernehmen, sondern für das Gesamtprojekt. „Wenn es nur um die Wissenschaft gegangen wäre, hätten wir sie nicht beauftragt, weil ich nicht wollte, dass die Brüdergemeinde selbst die Sache in die Hand nimmt“, sagt Zander.

Mit der Neukonzeption ist auch das Ende der Steuerungsgruppe besiegelt – die zuletzt eh an ihre Grenzen gestoßen war, weil es ungelöste Querelen der Betroffenen untereinander gibt. Inzwischen haben sich die Zander-kritischen Betroffenen und deren Unterstützer in der Arbeitsgemeinschaft Heimopfer Korntal zusammengeschlossen. Vorschläge, wer eine Mediatorenrolle ausüben könnte, habe Wolff gemacht, bestätigt Zander, der bei aller Skepsis auch sagt, er und Wolff lägen in den Ansichten nicht weit auseinander. Wolff teilt seine Sorge nicht, die Brüdergemeinde könne sich aus der Aufarbeitung zurückziehen. „Sie hat in der Phase der Konzeptionierung Zugeständnisse gemacht. Dahinter kann sie nicht zurück.“ Auch die Öffentlichkeit werde darauf achten.

Zander selbst will nun die Lobbyarbeit für Betroffene organisieren. Legitimiert ist er dafür bisher nicht. Um sich fachlichen Rat zu holen, will er nun Vertreter anderer Aufarbeitungsprozesse treffen.

Kommentar. Neue Struktur bietet Chancen

Korntal - Detlev Zander hat die Missbrauchsfälle in den Korntaler Kinderheimen öffentlich gemacht. Er und seine Mitstreiter haben die Brüdergemeinde in diesem Jahr dazu gebracht, sich dem Aufarbeitungsprozess in all den von den ehemaligen Heimkindern geforderten Facetten zu stellen. Das ist ihr Erfolg.

Die Betroffenen haben unter der Leitung der Wissenschaftlerin Mechthild Wolf in der Steuerungsgruppe stetig für ihre Ziele gekämpft. Wolff hielt dabei an der Mitsprache der ehemaligen Heimkinder innerhalb des Aufarbeitungsprozesses fest. Das war ebenso gut, richtig und wichtig wie die Vehemenz der Betroffenen im Nachhinein betrachtet zwingend notwendig war.

An der Beteiligung der Betroffenen soll sich nichts ändern, auch wenn nun die Strukturen im Aufarbeitungsprozess angepasst werden. Diese Veränderung ist unabdingbar, um die Verantwortung für die komplexen Teilbereiche auf mehrere Fachleute verteilen zu können. Nur so kann die von den Betroffenen geforderte Vollständigkeit gewährleistet werden, also juristisch bewertet, historisch und geistlich aufgearbeitet sowie über Anerkennungsleistungen entschieden werden. Mit all dem wäre die bisherige kleine Steuerungsgruppe überfordert. Die Gefahr wäre dann gegeben, dass einträfe, was die Betroffenen befürchten: dass die Brüdergemeinde gemachte Zusagen zurückzieht und die Angelegenheit verpufft.

Die Angst der Betroffenen ist unbegründet, wenn sie weiterhin für ihre Sache kämpfen. Die neue Struktur gibt ihnen sogar mehr Gestaltungsraum als bisher. Es nimmt sie aber auch stärker in die Pflicht, wenn sie nun eigenständig Lobbyarbeit in eigener Sache zu leisten haben.