Der ältere Bruder von Albert Mangelsdorff galt als einer der bedeutendsten Jazzmusiker Deutschlands. Für seine Musik legte er sich auch mit den Nazis an. Jetzt ist der Saxofonist im Alter von 96 Jahren in Frankfurt gestorben.

Frankfurt/Main - Im Alter von 96 Jahren ist er noch aufgetreten, aber jetzt hat er das Saxofon zur Seite gelegt: Nach einem langen, dem Jazz geweihten Leben ist Emil Mangelsdorff in seiner Heimatstadt Frankfurt gestorben. Was bleibt, ist der lebensfrohe Drive in Kompositionen wie „The Grabtown Grapple“. Mangelsdorff starb nach Informationen des Jazzinstituts Darmstadt am vergangenen Donnerstag.

 

Kulturstaatsministerin: Sein Wirken bleibt in Erinnerung

„Gemeinsam mit der deutschen Jazz-Szene trauere ich um einen ihrer profiliertesten und renommiertesten Solisten“, erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Samstag in Berlin. „Schon früh entdeckte er gemeinsam mit seinem Bruder die Liebe für den Jazz – in einer Zeit, in der jeder, der damals Jazz hörte oder gar selbst spielte, schwerste Strafen riskierte.“ Seine Musik und sein Wirken bleibe in Erinnerung.

Auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) würdigte, dass sich der Musiker „nicht nur um die Kultur in Hessen verdient gemacht, sondern als Zeitzeuge der dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte wertvolle Erinnerungsarbeit geleistet“ habe. 2015 erhielt der Jazzer die Ehrenprofessur des Landes Hessen.

Wegbereiter des deutschen Jazz

Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) schrieb, Emil Mangelsdorff sei wegweisend für den Jazz und prägend für seine Heimatstadt Frankfurt gewesen. „Mit ihm verlieren wir auch einen Zeitzeugen der Nazizeit, der am eigenen Leibe spürte, was es hieß sich als Künstler dem Regime zu widersetzen.“ Die Bigband des Hessischen Rundfunks würdigte ihn als „einen der großen Wegbereiter des deutschen Jazz, der nicht zuletzt für Frankfurt wahnsinnig viel geleistet hat“.

Emil Mangelsdorff war der ältere Bruder des Jazz-Musikers Albert Mangelsdorff (1928-2005), dessen Instrument der Wahl die Posaune war. Die beiden gingen musikalisch getrennte Wege, spielten aber auch immer wieder zusammen.

In der NS-Zeit spielte er in Hinterzimmern

Seine erste Begegnung mit dem Jazz beschrieb Mangelsdorff nach Angaben der Frankfurter Bürgerstiftung einmal mit einem Erlebnis vor dem Radio seiner Eltern: „Da lief Louis Armstrong. Ich war geradezu elektrisiert, hatte einen Puls von 160 und wusste: Das ist es, das will ich auch machen!“

Aber als Jugendlicher erfuhr der gebürtige Frankfurter, dass seine Lieblingsmusik als subversiv galt: Im NS-Regime spielte er trotz Verbots im Hinterzimmer eines Frankfurter Hotels mit Freunden amerikanischen Swing. Damit die Polizei keinen Verdacht schöpfte, wurden die Jazz-Titel „eingedeutscht“. Aus dem „Tiger Rag“ wurde „Die Löwenjagd im Taunus“, aus dem „St. Louis Blues“ die „St.-Ludwigs-Serenade“. Zeit seines Lebens hat sich Mangelsdorff als radikaler Demokrat verstanden. Als Zeitzeuge berichtete er Jugendlichen über Ausgrenzung und Unterdrückung im NS-Regime.

Einfühlsam-melodiöse Balladen

Am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt studierte er Klarinette – ehe er wegen „Wehrkraftzersetzung“ 1943 kurzzeitig inhaftiert und 1944 an die Front nach Russland geschickt wurde. Geprägt wurde er von Swing und Bebop. Seine Vorbilder: Charlie Parker und Lee Konitz, der oft in Frankfurt bei Mangelsdorff zu Gast war. Mit Charles Mingus spielte er zusammen in New York. Am Altsaxofon ließ er mit einfühlsam-melodiösen Balladen die Herzen im Publikum schmelzen. Er liebte auch die klassische Musik – seine 1973 gestorbene erste Frau Simone war Opernsängerin. Seinen besonderen Sound brachte er in Bands ein, die Namen trugen wie Two Beat Stompers oder Frankfurt All Stars. 1966 gründete er die Swinging Oil Drops.

Mangelsdorff trat zu Konzerten in ganz Deutschland auf. Sein letztes im Frankfurter Holzhausenschlösschen gab er am 1. November vergangenen Jahres, wie die Frankfurter Bürgerstiftung mitteilte. Es war sein 213. Konzert an diesem lauschigen Ort – im Internet kann man es noch anhören. Bei den „Frankfurter Jazztagen“ ab 25. März wollen die Musiker des Emil Mangelsdorff Quartetts für ihren verstorbenen Bandleader spielen.