Künftig jeden Monat im Stuttgarter Laboratorium: das Mitsing-Projekt „Deine Stimme für den Osten“ mit Jeschi Paul und Klaus Rother.

Lokales: Armin Friedl (dl)

S-Ost - Jeschi Paul ist in Sachen Singen viel unterwegs. Eine Verabredung mit ihr zu bekommen, geht derzeit eigentlich nur zwischen zwei Auftritten oder Probenterminen. Allein jetzt im November tritt sie mit fünf verschiedenen Projekten auf, jetzt ist noch ein weiterer hinzugekommen: „Deine Stimme für den Osten“ im neu renovierten Laboratorium. Einmal im Monat wird da künftig zum Singen eingeladen, eben unter der Leitung von Jeschi Paul, als nächstes jetzt am 21. November.

 

Was da vor allem zählt, ist die Freude am Singen, nicht die akribische Notenkenntnis. Anette Battenberg vom Laboratorium beschreibt das so: „Raus aus dem Badezimmer und rein ins Lab! Wer bisher vorzugsweise unter der Dusche gesungen hat, kann ab sofort einmal im Monat in Stuttgarts ältestem Live-Musik-Club seine Stimme bei mindestens ebenso guter Akustik erschallen lassen. Und natürlich dürfen auch alle anderen Sängerinnen und Sänger mittun, ob chorerprobt oder stimmlich schon länger eingerostet. Singen, vor allem in Gemeinschaft, ist ein rezeptfreies Antidepressivum mit ausschließlich positiven Nebenwirkungen.“

Schnelle Erfolgserlebnisse sind erwünscht

Aussagen, die Paul ohne weiteres bestätigen kann: „Es geht hier um den Spaß, nicht um irgendwelche höheren künstlerischen Ansprüche. Hier wird kein Druck oder irgendein Zwang ausgeübt.“ Konkret bedeutet das, dass Paul mit sechs oder sieben populären Stücken ankommt. „Da testen wir mal, was geht“, so Paul. Danach gibt es eine Pause, in der sich alle untereinander beraten können, und dann wird geschaut, was am besten funktioniert. „Es geht ja auch um Erfolgserlebnisse, und die können hier ruhig mal schnell eintreten“, so Paul. Auf neudeutsch gesagt, geht es hier um den „flow“. Das Repertoire sind die Klassiker der vergangenen 60 Jahre aus Rock und Pop, und da ist oft schon viel geholfen, wenn aus guter Hörgewohnheit heraus mitgesummt werden kann. Man denke da nur mal an den Begleitchor in Bob Dylans Klassiker „Knockin on heavens door“ mit seinem „Huuh, huuh“.

Etwas länger schon macht Paul dieses Mitsing-Angebpot in Reutlingen im Franz K., dahin kommen inzwischen mehr als 120 Interessierte. Im Laboratorium waren es beim ersten Mal bereits mehr als 50. Beste Voraussetzungen also, dass auch dies im Osten zu einem beliebten Gesangstermin wird. Paul jedenfalls gibt da nicht nur Anweisungen, sondern ist auch selbst ganz dabei. Ebenso ihr Begleiter Klaus Rother am Klavier.

„Wer reden kann, der kann auch singen“

Paul hat mit solchen Angeboten Erfahrung, seit 2014 leitet sie den Ich-kann-nicht-singen-Chor in Stuttgart. Das ist eine Bewegung, die es inzwischen in vielen Städten in Deutschlang gibt. Und der Name ist Programm. Die Leitidee lautet: „Wer reden kann, der kann auch singen“. Denn auch dort gilt: Notenkenntnisse sind nicht erforderlich, Kompliziertes ist nicht gefragt, Hauptsache ist, dass es gut klingt. „Viele haben das Vorsingen aus ihren Schulzeiten noch in sehr schlechter Erinnerung“, so Paul. Die Pädagogen von einst sind da wohl nachträglich für ein kollektives Trauma verantwortlich zu machen. „Dabei lässt sich das ohne weiteres überwinden“, weiß Paul aus Erfahrung. Und Erfolgserlebnisse stellen sich da durchaus schnell ein: !Auf einmal haben wir alle „California Dreaming“ im Kanon gesungen“. Wie das funktioniert, haben die Chormitglieder in den vergangenen Jahren bei den verschiedenen Landesgartenschauen bewiesen. Und der Höhepunkt war die Teilnahme am Deutschen Chorfest 2016 in Stuttgart.

Viel Stimmung im gemischten Frauenchor

Damit nicht genug: neben den Auftritten in der schwäbischen A-cappella-Gruppe Pepper & Salt sowie beim Jazzensemble Ipanema Beach Hotel und dem Banana Jazz Trio leitet Paul auch seit vielen Jahren den Chor fortissimas. Dort reicht das Repertoire vom südafrikanischen Freiheitslied bis zum frechen Swing, vom Groove der brasilianischen Bossa Nova bis zu Musical, moderner Klassik und frisch arrangierten Popsongs. Die Fortissimas lassen mit leisen wie nachdenklichen, frechen wie fordernden Tönen aufhorchen. Gesungen wird in Originalsprachen, da kennen die Fortissimas keine Berührungsängste. Und was für den Gesang stimmt, kann auch im Leben nicht falsch sein. Die rund 40 Sängerinnen leben und lieben die Vielfalt. Deshalb gibt es hier Frauen mit und ohne Kinder, mit und ohne Job, mit und ohne Partner oder Partnerin. Gemeinsam haben sie alle das Talent und die Freude am Singen. Geprobt wird aktuell immer Donnerstags um 20 Uhr im Bürgerzentrum Stuttgart-West.

Und seit mehr als einem halben Jahr leitet Paul auch einen Chor im Samariterstift im Tübinger Mühlenviertel. „Das ist eine Einrichtung für Demenzkranke und für deren Angehörige. Das Singen hat für die Menschen dort noch mal eine ganz andere Bedeutung“, weiß Paul aus der Arbeit vor Ort, „durch das Singen, Mitsummen oder einfach dabei sein werden auf einmal Erinnerungen wach, die schon längst verschüttet schienen“. Und Paul lernt auf diese Weise altes deutsches Liedgut kennen wie „Am Brunnen vor dem Tore“ oder „Im Märzen der Bauer“.