Der Konflikt um eine Zwölftklässlerin am Schickhardt-Gymnasium geht auch kurz vor dem mündlichen Abitur weiter. Laut „Bild“ soll die Schülerin, die mehrfach gegen ihre Schule vor Gericht gezogen ist, über das Regierungspräsidium eine bessere Betragensnote erwirkt haben.

Stuttgart - Was für eine Verhaltensnote verdient eine Schülerin, die, unterstützt von ihrer Mutter, durch stetige Auseinandersetzungen mit ihrer Schule, auch vor Gericht, Nachteile für ihre Mitschüler auslöst? Eine Schülerin, deren Konflikte mit fast allen Lehrern zur Folge haben, dass kurz vor dem Abi Lehrer ausgetauscht werden, dass Mitschüler freiwillig ihren Kurs wechseln, um ihr aus dem Weg zu gehen und somit mögliche weitere Nachteile zu vermeiden?

 

Eine Schülerin, die öffentlich über Schule, Schulleiter, Lehrer herzieht und sich keineswegs von ihrer Mutter distanziert hat, als diese versucht haben soll, einen ihrer Mitschüler im Gerichtsfoyer einzuschüchtern, wie dieser im Zeugenstand zu Protokoll gab. Streit gab es jetzt offenbar auch wegen der Verhaltensnote der Zwölftklässlerin. Und den machte die Schülerin – wie so oft – über die Medien öffentlich.

So soll die Schülerin einem Bericht der „Bild“ zufolge mit der von der Schule vergebenen Verhaltensnote „unbefriedigend“ nicht einverstanden gewesen sein und beim Regierungspräsidium erwirkt haben, dass die Schule diese Note in ein „gut“ abändern soll. Die Mutter der Schülerin wird in dem Blatt damit zitiert, dass der Rektor ein persönliches Problem mit ihr habe und nun ihre Tochter dafür büßen solle – „dafür hat er nun von der Schulaufsicht die Quittung bekommen“. Eine Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung lehnte der Anwalt von Mutter und Tochter ab. Auch die Schule, das RP und das Kultusministerium wollten sich zu dem Einzelfall nicht äußern. Zur Notengebung im Allgemeinen aber schon.

Die Note „unbefriedigend“ soll nur im Ausnahmefall erteilt werden

Man fragt sich, wie es sein kann, dass eine Behörde eine Betragensnote besser einschätzen können soll als die Lehrer, die die Schülerin tagtäglich erleben und die Note per Mehrheitsbeschluss herbeiführen. Laut Schulgesetz soll die Note „unbefriedigend“, also die schlechteste von vier möglichen Betragensnoten, dann erteilt werden, „wenn das Verhalten beziehungsweise die Mitarbeit des Schülers den an ihn zu stellenden Erwartungen nicht entspricht“. Ein Sprecher des Kultusministeriums erklärt, die Note „unbefriedigend“ werde in der Regel nur in „besonders begründeten Ausnahmefällen erteilt“. Es müsse „von der Klassenkonferenz also nachvollziehbar begründet werden, inwieweit das Verhalten der Schülerin oder des Schülers den an sie oder ihn zu stellenden Erwartungen nicht entspricht“. Die Lehrer hätten somit pädagogischen Beurteilungsspielraum.

Doch diese haben nicht das letzte Wort. Das Regierungspräsidium könne eine Note als zuständige Widerspruchs- und Fachaufsichtsbehörde auch aufheben und neu festsetzen, „sofern es zu der Auffassung gelangt, dass die erteilte Note nicht korrekt gebildet worden ist“, so der Ministeriumssprecher. Offenbar ist nun genau dieser Fall eingetreten. In der „Bild“ wird das RP damit zitiert, dass überhaupt keine Verfehlung der Schülerin bekannt sei, die eine so schlechte Verhaltensnote rechtfertige. In der Stellungnahme des Kultusministeriums heißt es: „Die Bewertungsgrundlage für die Verhaltensnote ist gemäß Paragraf sechs Absatz zwei der Notenbildungsverordnung sowohl das ‚Betragen im Allgemeinen‘ als auch die ‚Fähigkeit und tätige Bereitschaft zur Zusammenarbeit‘.“ Hierbei seien zu einer Gesamtwürdigung sämtliche Umstände heranzuziehen. Zu berücksichtigen sei „sowohl das Verhalten im Unterricht als auch außerhalb des Unterrichts, es muss allerdings immer ein schulischer Bezug gegeben sein“. Es scheint, dass Schule und RP unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Offenbar stuft das RP das Verhalten der Schülerin so ein, dass es den an sie gestellten Erwartungen entspricht, wie die Note „gut“ im Schulrechtsdeutsch heißt.

Zur Verhaltensnote zählt auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit

Bei der praktischen Bewertung des Verhaltens von Schülern gebe es viele Aspekte, berichtet Matthias Wasel, der Geschäftsführende Leiter der Stuttgarter Gymnasien, etwa: „Wie ist das Sozialverhalten – in der Klasse, aber auch in der Schule? War er in der SMV oder anderen schulischen Gremien aktiv?“ Und, so Wasel: „Wenn jemand permanent gegen Verhaltensregeln verstößt, muss das qualitativ beschrieben werden.“ Auch auf Whatsapp könne man sich danebenbenehmen. Zum Fehlverhalten zähle auch, sich negativ über jemanden zu äußern, über Schüler, aber auch Lehrer. Auch das könne in die Schule hineinwirken. Wenn ein Schüler nach einem Fehlverhalten ein Krisengespräch verweigere, könne auch dies als Fehlverhalten gewertet werden, so Wasel. Für ein „gut“ muss bei ihm im Hölderlin-Gymnasium ein Schüler freundlich, beherrscht, kameradschaftlich, mitfühlend, fair, verträglich und zuverlässig sein.

Regierungspräsidium hat „volles Vertrauen in die Notengebung der Schule“

Dem Eindruck, dass das RP im Fall des Schickhardt-Gymnasiums vor der streitbaren Schülerin einknickt und dafür die Schule opfert, hält die Behörde entgegen: „Das RP Stuttgart hat volles Vertrauen in die Professionalität der Schule und in ihre Notengebung.“ Dass Benotungen von Schülern angefochten werden, sei kein singulärer Vorgang. „Auch dass Benotungen im Wege eines Widerspruchsverfahrens korrigiert werden, kommt immer wieder vor“, so das RP.

Unterdessen lässt die vom Kultusministerium als „dringend notwendig“ angekündigte Änderung des Schulgesetzes auf sich warten. Eine Sprecherin hatte im März eingeräumt, der Fall des Stuttgarter Gymnasiums offenbare eine Gesetzeslücke. Der Grund: „Die einschlägigen Regelungen im Schulgesetz, etwa zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, zur Einhaltung der Schulordnung und zum Schutz von Personen und Sachen greifen in diesem Fall nicht“, so die Sprecherin. Für die Zwölftklässlerin ist nach dem mündlichen Abi in wenigen Tagen die Schulzeit vorbei. Die juristischen Auseinandersetzungen gehen jedoch weiter.