Bis 2030 werden etwa 40 000 Menschen im Synergiepark zwischen Vaihingen und Möhringen arbeiten, so di Prognose. Fakt ist, dass die Filderebene schon jetzt im Stau erstickt. Kann das Verkehrsproblem mit einer besseren Radinfrastruktur gelöst werden?

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen/Möhringen - Die Wirtschafts- und Industrievereinigung (WIV) hat Pendler gefragt, wie sie zu ihrem Arbeitsplatz im Synergiepark kommen. Gut die Hälfte nutzt das Auto, nur sechs Prozent kommen mit dem Rad. Allerdings könnten sich 30 Prozent vorstellen, ganz oder teilweise mit dem Fahrrad zur Arbeit zu kommen – wenn es dafür bessere Voraussetzungen gebe. Die einen sehen in diesen Zahlen den Beweis, dass Straßen ausgebaut werden müssen. Thijs Lucas, Sprecher der Initiative Radentscheid Stuttgart, hingegen sagt genau das Gegenteil.

 

Herr Lucas, wie kamen Sie zum Fahrradfahren?

Ich bin in Bremen mit dem Fahrrad aufgewachsen. Dort ist es ein selbstverständliches Fortbewegungsmittel. Fahrradfahren war dort meistens der einfachste, schnellste und angenehmste Weg, um ans Ziel zu kommen. Als ich für meinen Master nach Stuttgart kam, hörte ich plötzlich auf mit dem Fahrradfahren – ganz unbewusst. Hier fuhr niemand Rad, alle fuhren mit der Bahn oder dem Auto. Ich auch. Erst als ich ein neues Fahrrad geschenkt bekam, änderte sich das wieder.

Sind Sie gegen Autofahren?

Überhaupt nicht. Ich bin Fahrzeug-Ingenieur. Das Auto ist meine Leidenschaft. Für den Kurzurlaub im Schwarzwald miete ich mir gern ein Cabrio. Privat habe ich einen 80-PS-Benziner. Aber ich nutze das Auto kaum, um innerhalb Stuttgarts zu fahren. Das lohnt sich einfach nicht.

Woran liegt es dann, dass in Stuttgart nur so wenige das Rad nutzen?

In Stuttgart kann man selten angstfrei mit dem Rad unterwegs sein. Als ich hier anfing, Rad zu fahren, wurde ich ständig angehupt. Ich wusste nicht, wo ich lang fahren soll. Es gab keine Radwege, und wenn, hörten sie oft einfach irgendwo auf. So etwas kannte ich von Bremen nicht.

Und darum haben Sie den Radentscheid Stuttgart initiiert?

Nein, die Auslöser dafür waren die schlechte Luft und die daraus resultierenden Fahrverbote in Stuttgart. Das ging an meinen Stolz als Ingenieur und hat deutlich gemacht: Stuttgart hat ein Problem. Ich dachte mir, dass dieses Problem noch anders zu lösen sein muss, als durch Aussitzen und letztendlich Verbote. Der Verkehr muss verbessert werden. Doch bei Verkehr darf man eben nicht nur ans Auto denken. Stuttgart hat einen Modalsplit, wie es ihn sonst nur auf dem Land gibt, wo es kaum Radwege und ÖPNV gibt. Nur etwa sechs Prozent fuhren Fahrrad, als ich nach Stuttgart kam. Heute sind es immerhin acht bis zehn Prozent. Zu viele Menschen nehmen hier wie selbstverständlich das Auto, um von A nach B zu kommen. In Stuttgart gab es zu diesem Zeitpunkt bereits die Critical Mass, die sich für die Sichtbarkeit von Radfahrern einsetzt. Dort traf ich 2016 Mitstreiter, und gemeinsam kamen wir zu dem Ergebnis, dass wir mehr machen müssen, als einmal im Monat im Kreis Fahrrad zu fahren.

War der Radentscheid erfolgreich?

Wir haben elf Forderung formuliert und dafür über 35 000 Unterschriften gesammelt. Der Gemeinderat hielt unsere Ziele dann für rechtlich unzulässig. Nach Gesprächen mit den Parteien kam es aber schließlich doch zu einem Grundsatzbeschluss. Darin waren die Ziele zwar teilweise weniger konkret – da fehlte wohl der Mut –, aber es war ein Zeichen dafür, dass unsere Ziele weiterverfolgt und umgesetzt werden sollen. Besonders unsere Qualitätsstandards. Insofern war der Radentscheid schon teilweise erfolgreich. Es wurde eine Basis geschaffen. Wenn man aber auf die Straße schaut, sieht man noch keine Erfolge. In der Umsetzung ist alles noch zu langsam. Lediglich die Umgestaltung der Theodor-Heuss-Straße und der Eberhardstraße sind erste Ansätze, wo wir unsere Ziele erfüllt sehen

Wie kriegt man mehr Leute aufs Rad?

Zunächst einmal mit einer guten Infrastruktur, so dass man immer auf einfachen und sicheren Wegen ans Ziel kommt. Ich muss angstfrei fahren können, auch zwischen den Stadtbezirken, wo die Leute wohnen und Kinder zur Schule gehen. Und es muss ein Umdenken geben, ein Bewusstsein für den Radverkehr, insbesondere bei Autofahrern, aber auch zum Beispiel bei der Polizei. Für viele Beamte ist es noch immer selbstverständlich, dass ein Laster auf dem Radweg parkt. Die meinen dann, man könne doch einfach über die Straße oder durch die Fußgänger dran vorbeifahren. Als geübter, erwachsener Radfahrer kann ich das vielleicht, für ein Kind ist das aber zu gefährlich.

Glauben Sie wirklich, dass deutlich mehr Pendler mit dem Fahrrad zu ihrem Arbeitsplatz im Synergiepark fahren würden, wenn die Infrastruktur besser wäre?

Klar, das zeigt ja auch die Untersuchung der Wirtschafts- und Industrievereinigung. Aber natürlich gibt es in einem Industriegebiet Autoverkehr. Manche können nicht mit dem Rad kommen, weil der Weg zu weit ist oder ihnen die Fitness fehlt. Aber bei einer Strecke von 20 Kilometern und weniger ist Radfahren für viele machbar – vorausgesetzt sie finden gute und schnelle Wege. Manche nutzen das Auto auch nur, weil sie die Alternative nicht sehen. Der Synergiepark ist gut erschlossen, aber nur für Autos und nicht für Radler. Es gibt dort einen direkten Autobahnanschluss, aber noch immer keinen Radschnellweg. Auch die Unternehmen können den Radverkehr weiter fördern, indem sie sichere Abstellplätze, Duschen, Umkleiden und Spinde zur Verfügung stellen. Aber erst muss die Stadt in Vorleistung gehen und gute Radwege bauen. Denn wenn ich im Angstschweiß gebadet auf der Arbeit ankomme, dann nutzt auch die schönste Dusche nichts mehr.

Sind Sie mit den Unternehmen im Synergiepark in Kontakt?

Ich habe im Vaihinger Bezirksbeirat Vertreter von Lapp, Stollsteimer und der Dekra kennengelernt. Wir haben das Gespräch gesucht, und am Ende war es angenehm und konstruktiv. Ich würde mich freuen, wenn wir den Synergiepark gemeinsam besser machen, und habe die Hoffnung, dass wir in einem guten Dialog bleiben. Wir wollen ja nicht alle aufs Fahrrad zwingen. Aber mehr Radverkehr bringt einen Mehrwert – für alle. Es geht nicht nur darum, die Umwelt zu schützen. Es geht auch um eine bessere Mobilität insgesamt. Denn wenn die Autofahrer von der Straße weg wären, für die es eine Alternative gibt beziehungsweise für die eine Alternative geschaffen wird, dann wäre für die Verbleibenden auch das Autofahren wieder viel angenehmer.