Gab es Kapitän Ahab wirklich? Ron Howard legt eine Verfilmung jener unglückseligen Waljagd vor, die Herman Melville als Vorlage zu seinem Roman „Moby Dick“ diente.

Stuttgart - Herman Melvilles „Moby Dick“ von 1851 zählt nach wie vor zu den großen Werken der US-Literatur. 1956 hat John Huston den Roman mit Gregory Peck in der Rolle des legendären Captain Ahab kongenial verfilmt, nun wagt sich Ron Howard („Rush“) an den Stoff heran. Sein „Im Herzen der See“ ist jedoch keine weitere Adaption der Vorlage, sondern bezieht sich auf ein reales Ereignis, das Melville als Quelle diente.

 

1820 wurde das Walfangschiff Essex 3600 Kilometer vor der südamerikanischen Küste von einem Wal gerammt. Nur acht Besatzungsmitglieder überlebten und wurden nach mehrwöchiger Irrfahrt vollkommen ausgehungert gerettet. In dieser filmischen Verarbeitung nun steht wie in Melvilles Roman die Rivalität zweier Männer im Zentrum: zwischen dem frischgebackenen Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) und dem erfahrenen ersten Maat Owen Chase (Chris Hemsworth).

Reibereien und Harpunen

Pollard ist kein Ahab. Er bewegt sich auf beiden Beinen durchs Schiff und hegt keinerlei Rachegefühle gegen Meereskreaturen. Aber er ist eine überforderte Führungspersönlichkeit. Das geht selten gut aus. Chase hingegen wird als Sympathieträger in Szene gesetzt. Auch ohne Hammer in der Hand spielt der „Thor“-Darsteller Chris Hemsworth den Maat als besonnenen Tatmenschen. Die Reibereien erreichen dabei aber nicht die soziopathische Qualität der Konflikte aus Melvilles Roman.

Nach einigen Krisensituationen wird der erste Wal gesichtet. Mit winzigen Ruderbooten verfolgen die Männer den Meeressäuger und harpunieren ihn zu Tode. In diesen Szenen geht Howard in die Vollen, findet den Mut zum Spektakel, setzt aber auch tragische Zwischentöne, welche die Brutalität des Jagdunternehmens veranschaulichen. Pollard navigiert die Essex weit hinaus in den Pazifischen Ozean, wo sie ihr Verhängnis finden wird.

Milchgesichtiger als bei Melville

Aber anders als Melvilles Roman ist „Im Herzen der See“ mit dem Sinken des Schiffes nicht zu Ende. Es beginnt ein zermürbender, wenig glaubwürdig inszenierter Überlebenskampf mit einer vorhersehbaren Kannibalenpointe. „Im Herzen der See“ gelingt es nicht, aus dem Fußnoten-dasein im Schatten eines ungleich besseren Klassikers herauszutreten. Gegenüber Gregory Pecks Ahab ist Benjamin Walkers Pollard ein Milchgesicht. Weder der mystische noch der philosophische Subtext der Moby-Dick-Geschichte wollen sich in diesem aufwendigen, aber blassen Seeabenteuer entfalten. Eine Neuverfilmung von Melvilles Roman wäre statt des wenig überzeugenden True-Story-Ansatzes wohl die bessere Lösung gewesen.

Im Herzen der See. USA 2015. Regie: Ron Howard. Mit Chris Hemsworth, Benjamin Walker, Cillian Murphy, Brendan Gleeson, Ben Whishaw. 122 Minuten. Ab 12 Jahren.