Modellwelten sind wieder was. Digitale Technik und moderne Produktionen haben sie cool gemacht und haben auch den Modelleisenbahnclub in Stuttgart-Vaihingen erreicht.

Vaihingen - Es ist die Welt, wie man sie vermisst. Auf dem Marktplatz tummeln sich Menschen. Am Bahnsteig stehen Grüppchen zusammen. Niemand muss einen Mundschutz tragen, stattdessen ist ihnen ein Grinsen ins Gesicht gemalt. Es ist die Welt im Maßstab 1:87. Hier, im Zwischenstock der S-Bahn-Station Universität in Stuttgart-Vaihingen, hat der Modelleisenbahnclub Stuttgart (MECS) mehr als einen Kilometer Schienen und 95 Kilometer Kabel verlegt.

 

Peter Anhalt ist Geschäftsführer des Clubs. Der 67-jährige Rentner ist seit 1982 dabei und kennt jede Lok und jedes Haus auf der Anlage. Anhalt diskutiert gerade Vor- und Nachteile digitaler Modellbautechnik mit Martin Bauer, 32 Jahre alt. Solche Diskussionen sind nicht selten, denn im Modellbau hat sich viel verändert und der Club will Schritt halten.

Der Modellbau schien auszusterben. Neue Technik und soziale Medien haben die blechernen Eisenbahnen und Häuschen aus Kunststoff allerdings gerettet. Aktuell rüstet der MECS seine Modelleisenbahnen auf das digitale System um. Hierfür wurden hunderte Kabel und Stecker getauscht. Anführer der Veränderung ist Bauer, gelernter Veranstaltungstechniker und aktuell in den letzten Zügen seiner zweiten Ausbildung zum Werkzeugmechaniker. „Digital ist einfach besser. Es lässt sich viel mehr steuern“, erklärt er. Seine hellblauen Augen funkeln. Lichter, Anfahrgeschwindigkeiten, ja sogar Signale sollen die Loks mit der neuen Technik erkennen können.

Es schwingt etwas Wehmut mit

Anhalt zeigt die noch aktive Vorgängertechnik: Strichcodescanner, sonst in Supermärkten aktiv, sind unter den Schienen angebracht. Das Gegenstück, die Strichcodes, finden sich unten an den Zügen. Eine Software, selbst entwickelt, registriert, welcher Zug sich wo befindet. In Zukunft soll die eigene Software durch eine „von der Stange“ ersetzt werden. Moderne Decoder in den Zügen entschlüsseln dann ein elektrisches Signal aus den Schienen und ziehen daraus alle nötigen Informationen. „Noch vor einem Jahr hätten wir nicht sagen können, was sich da technisch tut. Es entwickelt sich so schnell“, berichtet Anhalt. Es schwingt etwas Wehmut mit.

An einem Ende der Platte wird ein neuer Abschnitt gebaut. Eine Brücke überspannt einen mit weißem Gips gefüllten Fluss. Darüber thront eine Burg, die Tilly-Festung aus Minden, originalgetreu. In seiner Satzung hat der MECS festgelegt, dass seine Welt zwischen den 1950er und 1980er Jahren spielt. „Die Zeit als Dampfbahnen, E-Loks und Dieselloks unterwegs waren. Unsere Kindheit“, schwärmt Anhalt. Längst aber nicht die Kindheit von Bauer mit seinen 32 Jahren.

Bei den Mitgliedern löste das aber Diskussionen aus

Trotzdem drängt er nicht auf modernere Städte. „Das hier findet man in echt nicht mehr. Das ist doch schön.“ Bei den jährlich stattfindenden Ausstellungen des Clubs fuhren auch schon ICEs. Das Publikum liebte die bekannten Schnellzüge. Bei den Mitgliedern löste das aber Diskussionen aus – immerhin passen die ICEs nicht in die Epoche. „Das war für viele ein harter Kampf“, erinnert sich Anhalt. Am Ende habe man aber beide Augen zugedrückt.

Die Fenster der Festung werden gerade vergittert. Die Gitter sind aus Metall, das per Lasercut ausgeschnitten wurde. Die neue Technik klappt bei Holz, Metall und Papier und ist so präzise wie keine Maschine zuvor. Auch die ältere Generation ist begeistert. „Wir wollen immer am Puls der Entwicklung sein und Rückmeldungen an den Markt und die Hersteller geben“, erklärt Peter Anhalt. Man verstehe sich als Entwicklungshelfer des Modellbaus. So habe man schon Gebäude mitentwickelt, die später in Serie gingen oder war an einem Kongress beteiligt, bei dem die Modelleisenbahn-Kupplung normiert wurde.

Seit März hat kein Clubabend mehr stattgefunden

Für die Modellbau-Unternehmen ist die Zeit eine gute: Faller, Hersteller für Modellgebäude und der Modelleisenbahnbauer Märklin aus Göppingen berichten von einem soliden bis guten Jahr. Die Kunden hätten sich im Lockdown wieder an ihre Modellbahnen erinnert, vermutet Jörg Iske, Märklin-Marketingleiter. Auch Modellbau auf Youtube gehe durch die Decke, meint Martin Bauer. Für den MECS war Corona aber ein harter Schlag. „Uns fehlt der Kontakt“, klagt Anhalt. Seit März hat kein Clubabend mehr stattgefunden. Ohne die Ausstellung zum Jahreswechsel keine Einnahmen. Gebaut wurde, wenn dann allein im Clubraum oder zu Hause. „Wir haben ja zumindest Whats-app – sind ja modern“, sagt Bauer und lacht.

Das Image eines Altherren-Vereins nehmen die Mitglieder übrigens mit Humor. Im Verein sind Mitglieder im Alter von 17 bis 94 Jahren. „In der Jugendgruppe ist man, bis man 54 wird“, witzelt Anhalt. Die Verbindung der Altersgruppen funktioniert. Und vielleicht muss es auch, um alte Welten mit moderner Technik in Einklang zu bringen.