Die Kinderarztpraxis von Dr. Waldemar Ertelt in Fellbach bleibt erhalten, weil durch ein bundesweit einmaliges Modellprojekt eine junge Medizinerin für die Nachfolge in Teilzeit-Anstellung gewonnen wurde. Die neuen Eigentümer wollen die Ärztin von Verwaltungstätigkeiten entlasten.

Fellbach - Junge Familien klagen, dass sie in Fellbach keine Termine in einer Kinderarztpraxis in der Nähe erhalten. Alle drei Fellbacher Praxen sind schon sehr groß und haben, wie es heißt, einen Aufnahmestopp für neue Patienten. Vor diesem Hintergrund wäre es eine Katastrophe für die ärztliche Versorgung in Fellbach gewesen, wenn eine Praxis ohne Nachfolge geschlossen worden wäre.

 

Er habe seit anderthalb Jahren erfolglos nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für seine große Praxis gesucht, erzählt Dr. Waldemar Ertelt, Kinderarzt in der Bahnhofstraße. Er will sich zur Ruhe setzen. Es gab auch Interessenten für eine Übernahme. Doch dem einen schien das finanzielle Risiko zu groß, anderen erschien das Angebot nicht zu ihrer Familie zu passen, für die mehr Zeit bleiben sollte, als wenn eine große Praxis geführt wird. Er habe schon gefürchtet, er werde eines Tages die Praxis aufgeben, ohne dass die weitere Versorgung in Fellbach gesichert ist, gesteht Ertelt.

Angestellte Kinderärztin ist von Verwaltungstätigkeiten freigestellt

Entsprechend dieser Vorgeschichte zeigte sich Oberbürgermeisterin Gabriele Zull jetzt sehr glücklich über die gelungene Übernahme, mit der Neuland betreten wurde. Mit einem Blumenstrauß dankte sie vor Ort. Zwei auswärtige Kinderärzte haben die Paedoc MVZ GmbH als Träger der Praxis gegründet und die 31-jährige Dr. Eünel Hasanova, Fachärztin mit bisherigen Stationen in Erlangen, Tübingen und Gmünd, für die Fellbacher Praxis gewonnen. Seit drei Monaten ist sie schon bei Dr. Ertelt tätig, um die Praxis kennenzulernen. Noch ein halbes bis ein Jahr wird er sie unterstützen und zwei Tage in der Woche für die Patienten da sein. Eünel Hasanova hat eine Tochter und wird deshalb in Teilzeit angestellt arbeiten.

Ulrich Kuhn, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Praxis in Kirchheim/Teck, ist einer der neuen Chefs und hat Verständnis, wenn junge Ärzte nicht gleich eine mit 1800 Patienten pro Quartal sehr große Praxis selbst übernehmen wollen. Als Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft Pädnetz S – ein Zusammenschluss von Ärzten, um Kindern die bestmögliche medizinische Versorgung bieten zu können – hat er auch den Ärztemangel in der Region im Blick. „Junge Ärzte möchten erst einmal schauen, wie es in einer Praxis läuft, bevor sie sich niederlassen und auf 30 Jahre binden. Daher denken viele daran, angestellt und in Teilzeit zu arbeiten oder haben lieber nur eine kleine Praxis“, sagt Kuhn.

Zu ihm stellte der städtische Wirtschaftsförderer Christoph Pfefferle den Kontakt her, und aus den Gesprächen über die Zukunft der Praxis in Fellbach ergab sich die gefundene neuartige Lösung: Er und Thomas Kauth, Kinderarzt in Ludwigsburg und Pädnetz-Vorstandsmitglied, haben zusammen die Trägergesellschaft gründet. Eünel Hasanova sollte die Möglichkeit erhalten, sich in Teilzeit nur um die Patienten kümmern zu können und die Verwaltung der Trägerfirma zu überlassen. Das ist das Besondere an der zum Modellprojekt gewordenen Praxisübernahme: Einerseits entlastet die Paedoc AG, deren Vorstand Ulrich Kuhn ist, die Kinderärztin – und andere Mediziner-Kunden – von Verwaltungsarbeiten, nach dem Paedoc-Motto „Sie machen die Medizin, wir den Rest“. Die Serviceleistungen reichen von der Anmietung und Möblierung von Praxen über deren medizintechnische Ausstattung einschließlich Wartung und Eichung. Diese Firma betreibt die Hard- und Software der Geräte, macht Abrechnungen und Controlling, bestellt aber auch Verbrauchsmaterial wie Verband und Impfstoffe.

Pilotprojekt soll nur eine schwarze Null erwirtschaften

Andererseits gehen die MVZ-Chefs auch vor Ort, um die lästigen Tätigkeiten zu erledigen: Ungefähr 20 Prozent der Arbeit eines Kinder- und Jugendarztes sei bürokratischer Natur, sagt Ulrich Kuhn. Ob ausgerechnet er dafür Zeit hat? „Nö, ich mach’s halt“, sagt er und weiß, dass in seiner Praxis in Kirchheim/Teck Kollegen für ihn einspringen. „Man muss notfalls halt 150 Prozent arbeiten“, beschreibt Kuhn, worauf er und seine Arztkollege sich einlassen. „Es ist eine Pilotpraxis, wir machen das nicht, um Geld zu verdienen. Wenn wir eine schwarze Null herausbekommen, sind wir froh und glücklich.“

Fellbacher Kinderarztpraxen sind ausgelastet und brauchen Verstärkung

Das Ziel sei es, die ärztliche Versorgung in der Breite erhalten. Das Angebot in der Fellbacher Praxis soll sogar durch einen weiteren Arzt ausgebaut werden, sagt Kuhn, denn in Fellbach sind alle kinderärztlichen Praxen ausgelastet: „Wir brauchen Verstärkung.“ Das ist aber noch Zukunftsmusik, denn bei solchen Wünschen spricht die kassenärztliche Vereinigung das entscheidende Wort. Es wird auch eine weitere medizinische Fachangestellte gesucht, um das Team zu verstärken.