Manche Unke behandelt er wie eine Weißwurst, auch in Gärten oder Dachböden treibt er sein Unwesen. Der Waschbär ist nicht so nett, wie er aussieht. Die Landesregierung will im Rems-Murr-Kreis jetzt erproben, wie seine Ausbreitung eingedämmt werden kann.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Auch wenn der Waschbär mittlerweile im ganzen Land zu Hause ist, fühlt er sich an Rems und Murr, im Nachbarlandkreis Göppingen sowie im Ostalbkreis besonders wohl. Das ist zum Teil zu einem ernsten Problem für einige heimische Singvögel, Amphibien und deren Nachwuchs geworden, die auf dem Speiseplan des maskierten Räubers stehen. Aber auch immer mehr Menschen in den betroffenen Landkreisen beklagen Schäden in Gärten und Häusern, die auf den putzig anmutenden, aber vor wenig zurückschreckenden Besucher zurückzuführen sind.

 

Pilotprojekt im Osten der Landeshauptstadt

Das hat man offenbar auch in Stuttgart festgestellt. Auf Initiative der CDU-Landtagsfraktion soll laut deren eigenen Angaben in dieser Schwerpunktregion östlich der Landeshauptstadt nun im Rahmen eines Pilotprojekts erprobt werden, wie die negativen Auswirkungen des Waschbären auf die örtliche Biodiversität und das Ökosystem minimiert werden können. Ein entsprechender Antrag sei im Rahmen der Haushaltsberatungen im Finanzausschuss beschlossen worden, heißt es in einer Mitteilung der Christdemokraten.

Darin begrüßt deren jagdpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses, Sarah Schweizer, den Beschluss, schließlich sei die Waschbärenpopulation in der nun in den Fokus genommenen Region in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Aber auch in anderen Landesteilen zeige sich, dass das sogenannte Neozoon, das als gebietsfremder Einwanderer keine natürlichen Feinde fürchten muss, auf dem Vormarsch sei. Ablesbar sei dies auch an den Abschusszahlen im aktuellen Wildtierbericht des Landes, sagt Sarah Schweizer. Demnach sei die Zahl der erlegten Waschbären in den vergangenen 16 Jahren um fast 3000 Prozent gestiegen.

Auch wenn die genaue Ausgestaltung des Pilotprojekts erst in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie örtlichen Beteiligten erarbeitet werden soll, ist man vor Ort wohl nicht undankbar, wenn man den pelzigen Räubern auf die Pelle rückt.

Unter anderem, weil diese immer näher an den Siedlungsbereich rückten, sei auch die Anerkennung zum Stadtjäger eingeführt worden, sagt Franziska Obermeier, die Leiterin der unteren Jagdbehörde im Rems-Murr-Kreis. Immer häufiger verwüsteten Waschbären nicht nur Vorgärten. Die hervorragenden Kletterer nisteten sich auch gerne in Dachböden ein und verursachten dort nicht unerhebliche Schäden. Gefährlich für den Menschen könnten unter Umständen die Exkremente sein: Der Waschbärenspulwurm sei durchaus übertragbar und könne Organstörungen verursachen und sogar zum Tode führen. Bei der Beseitigung von Hinterlassenschaften sollte man deshalb äußerste Vorsicht walten lassen und möglichst Schutzkleidung tragen.

Die Weißwurst des Waschbären

Auch im nicht erkrankten Zustand ist der vierbeinige Zorro in jedem Fall eine Gefahr für manche Tierart. Hans-Joachim Bek, Förster im Revier Reichenberg rund um Oppenweiler und engagierter Schützer seltener Amphibienarten, kann gerade in seinem letztgenannten Engagement da von leidvollen Erfahrungen berichten: „In der Krötenwanderungszeit erleben wir immer wieder regelrechte Massaker“, sagt er. Die eigentlich zum Schutz der Tiere aufgestellten Zäune empfänden einige der ursprünglich in Nordamerika heimischen nachtaktiven Jäger als willkommene Selbstbedienungstheke. Die hierzulande vom Aussterben bedrohte Gelbbauchunke gerate dort zur Weißwurst des gemeinen Waschbären: „Sie zuzeln die Unken einfach aus und werfen die Hülle weg“, sagt Bek. Auch bei seltenen Vogelarten, etwa dem Roten Milan, seien Waschbären schon als Nesträuber aufgefallen.

Der niedliche maskierte Räuber

Verbreitung
Ursprünglich stammt der in Fachkreisen Procyon lotor genannte Waschbär aus Nordamerika. In Europa ausgebreitet hat sich das Tier in weiten Teilen Deutschlands sowie angrenzender Länder, im Süden Weißrusslands und dem Kaukasus. Die für die europäische Population entscheidenden Ereignisse waren wohl das Aussetzen zweier Waschbärenpärchen im Jahr 1934 am hessischen Edersee sowie elf Jahre später der Ausbruch von etwa zwei Dutzend Waschbären aus einer Pelzfarm in Wolfshagen bei Strausberg in Brandenburg. Seit 2016 wird er auf der EU-Liste der „invasiven, gebietsfremden Arten“ geführt.

Aussehen
Der Waschbär gehört zu den Kleinbären. Er ist katzengroß mit einer Kopf-Rumpf-Länge von 40 bis 70 Zentimetern und kann bis zu zehn Kilogramm schwer werden. Sein langes, dichtes Fell ist silber-, braun- bis schwarzgrau. Seinen Namen verdankt er einer besonderen Geste: In Gefangenschaft gehaltene Tiere tauchen ihre Nahrung oft unter Wasser und reiben daran, was so aussieht, als würden sie ihre Fundstücke waschen.

Nahrung
Der Waschbär ist ein Allesfresser und nicht wirklich wählerisch. Obst und Nüsse, kleine Fische und Krebse, aber auch Vögel, Echsen, Salamander und Mäuse können auf seinem Speiseplan stehen.

Verbreitung
Der Bestand in Deutschland wächst rapide. Wurde er im Jahr 1956 noch auf 285 Tiere geschätzt, wuchs er in den 1970er Jahren in den fünfstelligen Bereich an. Heute geht man von einer sechsstelligen Zahl aus. Laut dem deutschen Jagdverband wurden allein in der Jagdsaison 2020/21 statistisch erfasst 200 163 Waschbären erlegt – fast dreimal so viele wie zehn Jahre zuvor.