Die kleine Gemeinde bei Karlsruhe soll als Bürge für die örtliche Kurklinik 34 Millionen Euro bezahlen. Das wäre eine Katastrophe für den Ort. Das Gericht hat nun entschieden, dass Waldbronn haftet – zumindest teilweise.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Waldbronn/Karlsruhe - Generationen von Schülern mussten Friedrich Schillers leicht schwülstige Ballade „Die Bürgschaft“ auswendig lernen, und seither weiß man irgendwie: Bürgen kann ziemlich doof ausgehen. Diese extrem bittere Erfahrung hat nun auch die Gemeinde Waldbronn gemacht. Der Ort mit 12 600 Einwohnern liegt am Übergang der Schwarzwaldhöhen in die Rheinebene direkt bei Karlsruhe und ist wegen seines aus 400 Metern Tiefe sprudelnden Thermalwassers bekannt.

 

1974, also vor 45 Jahren, hatte die Gemeinde für die örtliche Kurklinik gebürgt, um die Betriebsrenten der Mitarbeiter abzusichern. Die Gemeinde ist längst nicht mehr an dem Krankenhaus beteiligt, die Rehaklinik ist längst in andere Hände übergegangen. Und doch hat am Donnerstag das Oberlandesgericht in Karlsruhe festgestellt, dass die Bürgschaft nun zum Tragen kommt. Es stand ein Betrag von 34 Millionen Euro im Raum. Das wäre der Ruin für Waldbronn gewesen – der Jahresetat beträgt gerade 52 Millionen Euro. Und als ob das nicht schon tragisch genug wäre: Eigentlich ist alles nur ein großes Versehen.

Die Kurzversion der Geschichte geht so. Waldbronn war bis 1978 größter Kommanditist der Kurklinik Reichenbach, einem heutigen Ortsteil. Die Gemeinde übernahm deshalb die sogenannte Gewährsträgerschaft, wie man im öffentlichen Dienst etwas geschwollen zu einer Bürgschaft sagt. Damit konnte die Klinik ihren Mitarbeitern eine Zusatz-Altersversorgung beim Kommunalen Versorgungsverband Baden-Württemberg (KVBW) anbieten. Womöglich glaubte Waldbronn, dass sich die Bürgschaft erledigt hatte, als es aus der Trägerschaft ausstieg. Das sei mitnichten so, urteilte nun das OLG. Also Versehen Nummer eins.

Seit 35 Jahren hat niemand mehr an die Sache gedacht

Etwa 1983 wurde die Sache zwischen Klinik und Gemeinde dann erneut besprochen; doch die Debatte verlief im Sande. Waldbronn war aber wohl der Meinung, aus dem Schneider zu sein. Das war Versehen Nummer zwei. Falsch, sagte nämlich der Vorsitzende Richter Ulrich Guttenberg auch zu diesem Punkt. Erst 2014, als Waldbronn sicherheitshalber nochmals kündigte, habe die Haftung geendet.

Der dienstälteste verantwortliche Mitarbeiter im Waldbronner Rathaus ist 1985 eingetreten; es gab also niemanden mehr, der noch persönlich mit der Sache zu tun gehabt hatte. Es war deshalb ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, als im Februar 2013 ein Schreiben der KVBW ins Rathaus flatterte und Forderungen angemeldet wurden. Die Kliniken – später waren Häuser in Bad Herrenalb und Dobel dazugekommen – mussten 2016 ein Insolvenzverfahren eröffnen. Heute gehören alle drei Häuser zu den SRH Kliniken. Waldbronns Bürgermeister Franz Masino war erschüttert: „In 30 Jahren stand die Kurklinik nie wieder auch nur mit einem Wort in unserem Beteiligungsbericht.“

Am Donnerstag nach dem Verkündungstermin wusste der Schultes dann nicht, ob er weinen sollte oder sich doch ein wenig freuen. Einerseits hat der Richter das Urteil der ersten Instanz bestätigt; es bleibt also bei einer Millionenforderung. Andererseits hatte das OLG klar gemacht, dass Waldbronn nur für die Forderungen der Kurklinik Reichenbach und nicht für die der beiden anderen Häuser hafte. Zudem gibt es womöglich Masse aus der Insolvenz, die Waldbronns Bürgschaft weiter mindern könnte. Masino hütete sich, eine Summe zu nennen – aber vermutlich geht es jetzt nicht mehr um 34 Millionen Euro, sondern vielleicht noch um eine niedrige zweistellige Millionensumme. „Der ganz schwere Felsbrocken ist runtergefallen, aber ein etwas leichterer Felsbrocken ist immer noch da“, sagt Masino.

In Deutschland kann eine Kommune nicht insolvent gehen

Denn schon jetzt liegt die Verschuldung pro Einwohner mit 1221 Euro deutlich über dem Landesdurchschnitt mit 436 Euro, Ende 2017 hatte Waldbronn laut dem Statistischen Landesamt 15 Millionen Euro Schulden im Kernhaushalt. Die Frage ist deshalb grundsätzlich erlaubt: Kann eine Gemeinde überhaupt insolvent gehen, wenn extrem hohe Schulden zu begleichen wären? In Deutschland existiert kein Insolvenzrecht für Kommunen, anders als etwa in den USA, wo der Insolvenzverwalter natürlich Städte nicht „schließen“ kann wie ein Unternehmen. Aber er kann doch alle freiwilligen Leistungen auf den Prüfstand stellen und eine Sanierung vornehmen.

Im Fall einer Quasi-Insolvenz wäre auch das zuständige Bundesland nicht zwangsläufig verpflichtet, die Schulden zu übernehmen. In Aulendorf in Oberschwaben ist es aber teilweise so gelaufen. Die Stadt mit rund 10 000 Einwohnern hatte 2006 fast 62 Millionen Euro Schulden im Kernhaushalt (ohne Eigenbetriebe) angehäuft, vor allem wegen Missmanagements im Kurbetrieb. Das Land unterstützte die Stadt dann laut einer Auskunft des Landtags vom Mai 2018 direkt mit knapp 25 Millionen Euro und bis 2017 über Investitions- und Ausgleichsmaßnahmen mit weiteren 40 Millionen Euro. Die Stadt musste sich aber einer rigiden Aufsicht unterstellen und eine schmerzliche Konsolidierung durchlaufen. Ende 2017 lag die Schuldenlast Aulendorfs noch bei 16,6 Millionen Euro; das sind noch 1626 Euro pro Einwohner.

Die Betriebsrenten selbst sind nicht in Gefahr

An ein solches Hilfeszenario müssen Franz Masino und Waldbronn jetzt vielleicht nicht mehr denken; hart wären die Einschnitte aber auf jeden Fall, wenn die Millionen fällig würden. Eine Revision hat das OLG Karlsruhe nicht zugelassen, aber natürlich ist nun eine Nichtzulässigkeitsbeschwerde möglich. Und vielleicht wird erst in einem zweiten Verfahren die genaue Schuldensumme festgelegt. „Wir gehen davon aus, dass es noch Jahre dauern kann, bis diese Sache entschieden ist“, sagt der Bürgermeister von Waldbronn.

Die Betriebsrenten selbst sind übrigens nicht in Gefahr; die zahlt der Kommunalverband weiter. Einige betroffene Rentner waren dennoch bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe anwesend – aus purer Neugier. (Az. 12 U 189/17)