Das Landgericht Stuttgart verurteilt einen 53-Jährigen nach einem „völlig atypischen Mord“ in Rudersberg zu einer langen Gefängnisstrafe.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Rudersberg - Mit unbewegter Miene, fast emotionslos nimmt der Angeklagte das Urteil der Ersten Großen Strafkammer am Landgericht Stuttgart entgegen. Die Kammer schickt den 53-Jährigen für den Mord an seiner Lebensgefährtin in ihrem gemeinsamen Wohnhaus in einem Rudersberger Teilort für 13 Jahre hinter Gitter. Am Ende der Urteilsbegründung nickt er zustimmend mit dem gesenkten Kopf.

 

Mit dem Richterspruch geht ein Prozess zu Ende, der alle Verfahrensbeteiligten ratlos zurücklässt. So hat das der Verteidiger des Angeklagten, Jens Rabe, in seinem Plädoyer formuliert, so räumt es auch der Vorsitzende Richter der Strafkammer, Heiko Griesinger, in seiner Urteilsbegründung ein. Zwar seien die Tat und der Hergang – auch dank des vollumfänglichen Geständnisses und der Kooperation des Angeklagten – geklärt, ein Motiv habe sich aber auch bei genauem Hinsehen nicht finden lassen.

Die Tat an sich ist unstrittig

Fest stehe, so der Richter, dass der 53-Jährige in den frühen Morgenstunden des 4. März in dem Schlafzimmer des gemeinsamen Wohnhauses in Rudersberg mit einem Klappmesser seine drei Jahre ältere Lebenspartnerin erstochen und danach den Versuch unternommen habe, sich auf gleiche Weise selbst das Leben zu nehmen. Die Spurenlage und die Aussage des Angeklagten bei einem psychiatrischen Sachverständigen deckten sich.

Einen objektiven Grund für die Tragödie habe die Kammer hingegen nicht finden können. Alle Zeugenaussagen hätten bestätigt, dass das Paar bis zuletzt eine liebevolle, harmonische Beziehung geführt habe. Beide seien sozial engagiert, integriert und beliebt, finanziell sei das Paar abgesichert gewesen. Es habe sich in den Lebensläufen nicht eine Auffälligkeit finden lassen, die irgendwie auf die spätere Tat hätte hindeuten können.

Atypische Depressionen?

Auch habe es keine Vorzeichen einer psychischen Erkrankung gegeben. Und doch bleibe als einzige Erklärung wohl jene, die der erfahrene psychiatrische Sachverständige Peter Winckler ins Spiel gebracht habe, wenngleich auch in seinem Gutachten mehrfach das Wort „atypisch“ gefallen sei.

Winckler geht davon aus, dass eine akute Depression bei dem 53-Jährigen das Gefühl einer völligen Überforderung ausgelöst habe. Er habe plötzlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als sich selbst das Leben zu nehmen. Der Mord an seiner Lebensgefährtin sei als eine sogenannte Mitnahmetötung, als ein erweiterter Suizid zu werten. In ungewöhnlich hoher Dynamik hätten für ihn Dinge, die Außenstehende objektiv als Lappalien angesehen hätten, ein nicht mehr bewältigbares Ausmaß angenommen: unerledigte Baumschnitt-Aufträge, ein Chorprojekt, für das er sich als Leiter verantwortlich gefühlt habe, ein geplanter Mauerbau im eigenen Garten. Diese kurzzeitige und bisher wohl einmalige seelische Störung habe ihn aller Voraussicht nach in den Selbstmordversuch getrieben, so der Gutachter.

Vertrauen massiv missbraucht

Dass durch diese Depression seine Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen war, sei unwahrscheinlich, da er nicht völlig spontan auf seine Lebensgefährtin losgegangen sei und eher überlegt und zielgerichtet gehandelt habe, sagte der Vorsitzende Richter. Ausgeschlossen werden könne dies aber nicht, weshalb der Sachverhalt nach dem Prinzip „im Zweifel für den Angeklagten“ zu werten sei. Das Merkmal der Heimtücke hingegen müsse ihm angelastet werden. Er habe das Vertrauen seiner Lebensgefährtin, die noch in den letzten Minuten ihres Lebens mit Zuwendung und Ratschlägen für ihn da gewesen sei, massiv gebrochen. Sie habe keine Chance gehabt, die Tat abzuwenden.

Weil ansonsten so ziemlich alles an diesem Mord ungewöhnlich gewesen sei, habe ihm das eine lebenslange Haft erspart, sagte der Vorsitzende Richter. Die Verzeihung, um die er in seinem Schlusswort gebeten hatte, könne ihm aber die Kammer nicht geben.