Mit dem Fünfteiler „Morgen hör ich auf“ hebt das ZDF gleich zu Jahresbeginn eine TV-Perle ins Programm. Bastian Pastewka als geldfälschender Familienvater ist ein Besetzungscoup.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Der Hamster, der sich im Hause der Lehmanns im Hamsterrad dreht: das ist zwar kein sehr originelles, aber ein treffendes Bild. Wie das putzige Nagetier im Käfig strampelt sich Jochen Lehmann im hessischen Bad Nauheim in seiner Mittelstandsexistenz ab – ohne vorwärts zu kommen. Die vom Schwiegervater übernommene Druckerei hat er in die Miesen gefahren, bis einen Millimeter vor die Insolvenz. Damit riskiert er alles, was er sich aufgebaut hat: seine Familie, die Liebe zu seiner Frau, das Einfamilienhaus, den bescheidenen Wohlstand.

 

Die Wünsche der drei Kinder Laura, Vincent, Nadine (Janina Fautz, Moritz Jahn, Katharina Kron) kann er längst nicht mehr erfüllen; sogar die Klassenreise von Nesthäkchen Nadine muss er streichen. Wegen der Außenstände beim Internetanbieter gibt es zum Verdruss von Sohn Vince kein W-Lan mehr im Haus, und seine attraktive Frau muss halbtags zum Mindestlohn in einer Boutique jobben. Die materiellen wie emotionalen Entbehrungen – das Ehepaar Lehmann hat sich auseinander gelebt – kompensiert Julia, indem sie mit ihrem Jugendfreund Rolf „The Wolf“ (Torben Liebrecht) ins Bett geht. Wovon ihr Mann freilich nichts weiß.

Aber das Rad stoppen, die Zwänge mit Abstand betrachten und gemeinsam mit Frau und Kindern nach vernünftigen Lösungen zu suchen: das schafft dieser durch und durch aufrechte Familienvater, der seine in zwei versteckten Schachteln weggeräumten Mahnungen penibel in die Kategorien „wichtig“ und „extrem wichtig“ einteilt, nicht. „Ich krieg das schon hin“ – das ist sein Mantra, seine Lebenslüge.

Kriminell will der Geldfälscher gar nicht sein

Und so keimt in Jochen Lehmann beim Anblick seiner mangels Aufträgen stillliegenden Druckmaschinen ein so naheliegender wie verhängnisvoller Gedanke: Er beginnt Falschgeld zu drucken – und bringt es als Blütenproduzent zu wahrer Meisterschaft. Im nahen Frankfurt schummelt er die Fünfzig-Euro-Scheine unters Volk, nur um mit dem Wechselgeld so viel zusammenzubringen, dass er die nächste Kreditrate fürs Haus stemmen kann. Ein Krimineller will er doch gar nicht sein. Dass er damit vollständig die Kontrolle über sein Leben verliert anstatt sie wieder zurückzugewinnen, das dämmert ihm erst, nachdem einer der falschen Fuffziger in die falschen Hände geraten ist: in die des Kriminellen Damir Decker (Georg Friedrich), der Lehmann auf die Spur kommt und ihn erpresst – und damit, nach Lehmanns Geldfälscherei, das zweite Glied einer fatalen Kette von Ereignissen schmiedet.

Das ist das Ausgangsszenario der Miniserie „Morgen hör ich auf“ mit Bastian Pastewka und Susanne Wolff als großartigem Hauptdarsteller-Paar, die das ZDF vom 2. Januar an in fünf Folgen jeweils am Samstag ausstrahlt – und damit gleich zu Beginn des Jahres eine TV-Perle ins Programm hebt. Der im Vorfeld vom ZDF selbst ins Spiel gebrachte Vergleich mit der US-Erfolgsserie „Breaking Bad“ zielt daneben. Zwar finden sich deutliche Parallelen, doch „Morgen hör ich auf“ ist keine Kopie. Denn der Regisseur Martin Eigler, der zusammen mit Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser auch das Drehbuch schrieb, kommt in diesem erstklassigen Krimi-Familien-Drama der bundesdeutschen kleinbürgerlichen Mentalität und Lebenswirklichkeit viel näher, als ein bloßer Abklatsch eines Walter White das je könnte.

Pastewka bringt einen gewissen Antirealismus mit

Eine im großen Bogen von der ersten bis zur dreihundertsten Minute konsequent gespannte, mit Überraschungen gespickte Dramaturgie, die den Zuschauer von Episode zu Episode treibt; eine dichte Erzählweise, in der jeder Handlungsbaustein, jedes Detail seine ihm oft erst später zugewiesene Bedeutung hat; psychologisch schlüssig sich entfaltende Figuren; eine zeitgemäße Inszenierung, die etwa mit sparsam eingesetzten Slow-Motion-Schnipseln arbeitet, die spannungssteigernd Schlüsselmomente vorwegnehmen, ohne sie aufzulösen sowie trotz der oft surrealen Situationen lebensechte Dialoge: der Fünfteiler verspricht beste Fernsehunterhaltung. Dazu tragen freilich auch die hervorragenden Schauspieler bei. Bastian Pastewka, der mit einer Glanzleistung als Charakterdarsteller überrascht, ist ein Besetzungscoup. Dass man ihn als Comedian kennt, er aber nie ins Komische zurückfällt, steigert das Spannungsmoment; zugleich gibt er mit seinem Background seinem tragikomischen Familienvater und Kriminellen wider Willen einen subtilen antirealistischen Touch, was „Morgen hör ich auf“ von der üblichen Episodenware abhebt.

Ein ebenbürtiges Gegenüber ist ihm Susanne Wolff: Ihre Julia ist Provinzschönheit mit Unschuldsmiene und abgefeimte Lügnerin, eine Ambivalenz, die in eine latente Komik mündet.

Mit „Morgen hör ich auf“ will sich das ZDF ein weiteres Mal mit einer fiktional anspruchsvollen Serienproduktion schmücken. Im Herbst ist das bei der dramaturgisch schwachen Thrillerserie „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ gründlich in die Hose gegangen. Dieses Mal könnte es, wie bei der Krimireihe „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach, klappen. Ein Risiko bleibt: der wöchentliche Ausstrahlungsmodus, der zuletzt der qualitativ hochwertigen RTL-Spionageserie „Deutschland 83“ zum Verhängnis wurde.