Moritz Winkelmann ist normalerweise weltweit unterwegs, ob als Pianist oder als Dozent. Jetzt hat der Schafhausener eine unfreiwillige Pause, die er aber zu nutzen weiß.

Weil der Stadt/Bern - Normalerweise wäre Moritz Winkelmann eben von einer Konzertreise aus Japan zurückgekommen. Doch Corona hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auch die Weil der Städter Reihe „Klassik im Klösterle“, die er leitet, muss derzeit ruhen. Wie geht der Pianist damit um? Wir erreichen Winkelmann in Bern in der Schweiz, wo er sich quasi in die künstlerisch-kreative Quarantäne zurückgezogen hat.

 

Herr Winkelmann, fällt Ihnen schon die Decke auf den Kopf?

Im Gegenteil. Ich arbeite sehr viel und genieße die langsamen Prozesse. Ich übe auf eine entschleunigte, ganzheitliche Art und Weise und beschäftige mich mit neuem Repertoire. Gleichzeitig habe ich zwei Lehrstellen, an denen Fernunterricht stattfindet. Dennoch ist es sehr schmerzhaft, dass all meine Konzerte und sonstigen Projekte nicht stattfinden können.

Was fehlt Ihnen besonders? Der Applaus?

Die Ziele fehlen, die Vorfreude – und sogar die Deadlines. Und das Publikum fehlt. Die Menschen, für die man spielt. Der Moment, in dem man Musik macht, die von anderen Menschen empfunden wird. Dieses „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“ von Beethoven fehlt. Und wir wissen nicht, wann es wieder losgeht.

Ihr Kollege Igor Levit gibt Hauskonzerte im Internet. Haben Sie sich das auch schon überlegt?

Nein. Ich nutze die Zeit, um zurückgezogen zu arbeiten – jenseits von Zeitdruck und anderen äußeren Einflüssen; gewissermaßen, um langsam zu atmen. Das ist das, was mich im Moment erfüllt.

Sie sind weltweit unterwegs. Wo wären Sie zurzeit?

2020 ist Beethoven-Jahr – und gerade Beethoven ist ein Schwerpunkt meiner künstlerischen Arbeit. Es sollte also ein sehr aufregendes Jahr werden, auf das ich mich sehr gefreut hatte. Ende April wäre ich eigentlich mit dem vierten Beethoven-Konzert in Tokio gewesen. Das wurde jetzt – sehr optimistisch – auf Anfang Juli verschoben. Alles andere bis September ist abgesagt. Das letzte Konzert, das noch stattfinden konnte, war das zweite Beethoven-Konzert Ende Februar im Rosengarten in Mannheim.

Sie unterrichten Klavier an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und am Konservatorium Bern. Läuft das weiter?

Ja, ich arbeite mit den Studierenden online, auf allen möglichen Kanälen. Die Semester laufen ja weiter. Wir mussten uns alle umgewöhnen, aber das ging ziemlich schnell. Fernunterricht ist sicher keine Dauerlösung, aber für den Moment erstaunlich gut und effektiv. Wenn man ein Tchaikovsky-Konzert mit dem Handy-Mikrofon aufnimmt, ist die Qualität natürlich nicht berauschend. Also konzentrieren wir uns mehr auf die Aspekte der Werke, die sich für Fernunterricht eignen und vielleicht weniger auf die ganz raffinierten Klangfarben. Das machen wir dann, wenn wir uns wieder sehen.

Gibt es schon Signale, wann die Musik-Hochschulen wieder starten dürfen?

In zwingenden Fällen, etwa zur Prüfungsvorbereitung, ist der Präsenzunterricht in Stuttgart unter Einhaltung strenger Hygienevorschriften schon erlaubt. Das Konservatorium in Bern wagt in dieser Woche einen sanften Einstieg – ebenfalls mit Maske, Trennwand und Desinfektionsmittel. Wir müssen schauen, ob es angesichts dieser Einschränkungen wirklich Sinn macht, oder ob der durchaus nicht zu verachtende Fernunterricht noch etwas fortgeführt werden sollte.

Wie geht es Ihren freiberuflichen Kollegen zurzeit, die nur von den Konzert-Einnahmen leben?

Wenn bei Künstlern auf einmal alle Einnahmequellen wegbrechen, dann ist die Lage schlichtweg prekär. Viele stehen mittlerweile mit dem Rücken an der Wand. Was die Hilfen von Seiten des Staates betrifft bekomme ich gemischte Informationen – die einen haben Soforthilfen bekommen, die anderen nicht, wieder andere sollen sogar Arbeitslosengeld beantragen. Deutschland ist einer der führenden Kulturstandorte weltweit und stolz auf sein kulturelles Leben und dessen Qualität. Die Welt schaut in Sachen Kultur auf Deutschland. Deshalb ist Deutschland auch verantwortlich dafür, dass jetzt flächendeckende finanzielle Hilfen gewährt werden. Und das sehe ich bedauerlicherweise noch nicht.

Auch „Klassik im Klösterle“ musste Konzerte absagen. Kommt die Konzertreihe finanziell in Schieflage?

Auch wir müssen laufende Kosten decken, aber es ist noch nicht existenzbedrohlich. Uns war in erster Linie wichtig, für beide Konzerte Ersatztermine anbieten zu können, damit die Konzerte nicht einfach so platzen. Das bedeutet für die Künstler und auch für unser Publikum sehr viel.

Wollen viele Zuschauer ihr Geld zurück?

Nein, auch wenn Konzertbesucher selbstverständlich die Möglichkeit haben, ihr Geld zurückzubekommen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, uns per E-Mail darüber zu informieren, dass sie ihre Karte spenden möchten, wenn sie an dem Ersatztermin keine Zeit haben. Das gilt übrigens bei allen Kulturveranstaltern – alle sind momentan in einer äußerst unglücklichen Lage.

Es wird überlegt, Konzerte möglich zu machen, natürlich mit großem Sicherheitsabstand. Begrüßen Sie das?

Als Künstler schon. Das ist eher eine wirtschaftliche Frage für die Veranstalter. Auch bei „Klassik im Klösterle“ leben wir quasi von der Hand in den Mund und sind darauf angewiesen, dass wir Karten verkaufen. Wenn jetzt nur ein Bruchteil unserer Zuhörer in den Saal darf, dann müssen neue Konzepte erprobt werden, wie wir als Veranstalter kostendeckend arbeiten können. Allein die Möglichkeit wäre aber in jedem Fall ein Schritt in eine gute Richtung und ein wichtiges Zeichen für die Kulturwelt.

Gibt es trotz allem positive Aspekte an der Krise?

Ich kann dieser neuen beziehungsweise vorübergehenden Langsamkeit einiges abgewinnen, vor allem im Bezug auf meine künstlerische Arbeit. Außerdem sieht man zur Zeit vermehrt Gesten von Solidarität, die unsere Gesellschaft dringend nötig hat, ganz unabhängig von Corona. Ich hoffe dennoch, dass wir Musiker bald wieder Konzerte spielen dürfen, das ist klar. Ich glaube an das Live-Konzert.