In Japan geht die Angst vor dem Taifun um. Das Qualifying muss verschoben werden. Im schlimmsten Fall findet das Rennen in Suzuka gar nicht statt.

Suzuka - Die einzige Gerade, die am Samstag im japanischen Mobilityland in Betrieb sein wird, ist lediglich 19,20 Meter lang. Doch auch in der Bowlinghalle werden Besucher nur dann geduldet, wenn sie Schutz vor dem heraufziehenden Taifun Hagibis suchen werden. Außerhalb solcher Notunterkünfte bleibt die Formel-1-Rennstrecke komplett gesperrt, die Qualifikation zum Großen Preis von Japan wird auf Sonntagvormittag verschoben, und erst vier Stunden vor Rennbeginn ausgetragen. Die Angst um Zuschauer und Fahrer diktiert das Notprogramm, während britische Reporter Überschriften wie „Nur ein Super-Typhoon kann Hamilton noch stoppen“ dichten.

 

Der tropische Wirbelsturm, dessen Name ironischerweise so viel wie „Geräusch vorbeisausender schneller Autos“ bedeutet, ist der bislang stärkste der Orkansaison in Südostasien. Allein sein Auge hat einen Durchmesser von 55 Kilometern, und selbst wenn er sich über das Wochenende wie prognostiziert abschwächen sollte, sind immer noch Windgeschwindigkeiten deutlich über 200 km/h möglich. Suzuka liegt direkt am Meer, überall auf Straßen und Schildern sind generelle Verhaltensweisen bei einem Tsunami angeschrieben, die auch jetzt nützlich sein könnten. An manchen Küstenstreifen rechnen die Sturmexperten mit bis zu elf Meter hohen Wellen.

Reine Fürsorgepflicht

Im Jahr vor Olympia verspürt Japan eine besondere Fürsorgepflicht nicht nur gegenüber der einheimischen Bevölkerung, sondern vor allem gegenüber den Tausenden von Ausländern, die zur Rugby-Weltmeisterschaft und zur Formel 1 im Land sind. Zwei WM-Spiele im Raum Tokio wurden bereits Anfang der Woche abgesagt, und auch die Organisatoren im 300 Kilometer entfernten Suzuka entschieden bereits am Freitagmorgen, die erwarteten 100 000 Rennfans erst gar nicht anreisen zu lassen. Stundenlanger, heftiger Dauerregen ist vorhergesagt, rund um die Piste stehen eine Menge Naturtribünen. Auch die Verkehrsbetriebe hatten bereits angekündigt, bei starken Winden den Bus- und Zugverkehr einzustellen. Das Risiko von Massen gestrandeter Zuschauer wollten die Formel 1 auch nicht eingehen.

Vor allem erinnerten sich die Verantwortlichen an das Schicksal des letzten Formel-1-Toten. Vor fünf Jahren war der Orkan Fanfone in Suzuka aufgezogen, und trotz der Warnung der Meteorologen hatte Honda als Streckenbesitzer nicht dem Wunsch von Bernie Ecclestone entsprochen, das Rennen auf den Vormittag vorzuziehen. Mit dem Resultat, dass der Grand Prix hinter dem Safety-Car gestartet und später unterbrochen werden musste. In der 43. Minute, als das Wasser längst sturzbachartig quer über die hügelige und schon im Trockenen gefährliche Berg- und Talpiste schoss, raste der Marussia-Pilot Jules Bianchi in einen Bergekran, der das havarierte Auto des Münchners Adrian Sutil wegheben sollte.

Unvergessene Bianchi-Tragik

Der Franzose, Patenonkel der heutigen Ferrari-Hoffnung Charles Leclerc, erlitt schwerste Kopfverletzungen, denen er im Juli 2015 erlag. Viele schwere Vorwürfe prasselten auf die Organisatoren ein: warum das Rennen nicht schon vor dem fatalen Crash abgebrochen worden und während der Bergung nicht neutralisiert worden war. Wieso überhaupt gefahren wurde, obwohl der Rettungshubschrauber nicht starten konnte und Bianchi deshalb mit einem Rettungswagen quälend lange die 20 Kilometer zum nächsten Hospital unterwegs sein musste. Eine offizielle Schuld wurde nie festgestellt, aber sicher hat die Tragik von damals mit zur Vernunft von heute beigetragen.

Im Fahrerlager von Suzuka sind besonders die Glaspavillons der Rennställe und die Container der Fernsehteams gefährdet. Seit gestern morgen wird alles, was festzuzurren ist, festgezurrt. Schwere Ringe, wie sie sonst nur in Häfen zu finden sind, sollen der Naturgewalt Widerstand leisten. Die Rennställe werden sich hinter geschlossenen Garagentoren verbarrikadieren, alles Material gegen Überflutungen aufbocken. Mercedes hat sich auch bereits nach Brettspielen umgeguckt, um die Mannschaft bei Laune zu halten – dem gesamten Formel-1-Tross ist angeraten, sich bis zur Entwarnung nicht aus den Hotels zu wagen: „Bleiben Sie drinnen!“

Bei Absage ist Ferrari aus dem Rennen

In Japan wurden die Formel-1-Rennen schon häufiger von schweren Stürmen, mitunter auch von Erdbeben beeinträchtigt. Zum letzten Mal musste 2015 im texanischen Austin eine Qualifikation wegen Dauerregen auf Sonntag verschoben werden. Sollte auch die Qualifikation in Suzuka wegen möglicher Taifun-Nachwirkungen nicht ausgetragen werden können, zählt das Resultat des Freitagstrainings als Startaufstellung. Tagesbester war der Finne Valtteri Bottas vor WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton. Sebastian Vettel wurde Fünfter hinter Charles Leclerc. Würde das Rennen am Sonntag komplett abgesagt werden müssen, könnten nur noch die Silberpfeil-Piloten Hamilton und Bottas in den letzten vier WM-Läufen den Titel gewinnen.