In unserer Serie nehmen wir Platz auf dem Beifahrersitz. Heute: Im Müllauto.

Stuttgarter Norden - Müllmann werden – den Traum haben viele Kinder. Zumindest, wenn man Franz Lantzinger glauben mag. Der 55-Jährige fährt im Stuttgarter Norden einen Müllwagen und kommt dabei viel herum. „Oft, wenn ich an einem Kindergarten vorbeifahre, ist totaler Aufruhr und alle Kinder rufen ‚Müllabfuhr, Müllabfuhr‘“, sagt Lantzinger und lacht. Dann winkt er den Kids und freut sich. So auch heute. Auf seiner Tour durch Zuffenhausen, die um 6.45 Uhr begonnen hat, hält Lantzinger gerade vor einer Einfahrt, in der eine Mutter mit ihren beiden Kindern steht. Die Kleinen machen ganz große Augen, Lantzinger winkt und lächelt. Doch lange kann er so nicht stehen bleiben, denn sein Arbeitstag ist bis zum Feierabend um 15.40 Uhr eng getaktet. „Da bleibt keine Zeit zum Spielen“, sagt er und legt den Gang ein – weiter geht’s mit der Tour.

 

Ein Plan wird längst nicht mehr benötigt

Lantzinger ist zudem auch nicht alleine. Während er vorne im Führerhaus sitzt und per Knopfdruck die sogenannte Schüttung bedient, die hinten am Fahrzeug die Tonnen aufnimmt und in die Trommel kippt, sind seine Kollegen Fernando Campos und José Montero damit beschäftigt, die Behälter von ihren Stellplätzen zu holen, zum Wagen zu rollen und sie danach wieder an ihren Platz zu stellen. Die beiden portugiesischstämmigen Männer wissen nach mittlerweile rund vier Jahren, die sie nun als Trio zusammen mit Lantzinger die Tour durch Zuffenhausen fahren, ganz genau, wo die Tonnen stehen. Einen Plan haben sie zwar dabei, doch den brauchen sie längst nicht mehr. Man kann fast nicht so schnell gucken, wie die beiden Lader von den Trittflächen hinten am Fahrzeug absteigen, die Tonnen holen, leeren und zurückstellen. Das geht zack, zack – und schon rollt der Müllwagen weiter. Allerdings nie schneller als mit 30 Stundenkilometern, solange die Lader hinten drauf stehen. Das verhindert die Technik.

Kaum ein Stopp dauert länger als zehn Sekunden

Doch gegen eines hilft auch die beste Technik nicht: den Müllgestank. Zwar sammeln Lantzinger und seine beiden Kollegen nur Restmülltonnen ein, doch auch in die verirren sich manchmal organische Abfälle. „Vor allem die Tonnen von manchen Restaurants stinken schon sehr“, sagt Montero. Manchmal hätten er und sein Lader-Kollege von dem Gestank brechen müssen. Ein anderes Problem, gegen das die Technik machtlos ist, sind zugeparkte Straßen. „Ab und zu sind die so zugeparkt, dass ich eine Ausweichroute fahren muss“, sagt Lantzinger. Und das muss was heißen – denn der 55-Jährige fährt seit 1977 Lastwagen und kommt mit seinem 24-Tonnen-Gefährt (zulässiges Gesamtgewicht) normalerweise in jede noch so kleine Einfahrt. Wo manch anderer schon längst verzweifelt wäre, behält Lantzinger die Ruhe und bedient sich seiner sechs Rundumspiegel, um nirgendwo anzuecken. Den eigentlichen Leervorgang überwacht er auf einem Monitor. Parallel dazu hat er immer im Blick, wann seine beiden Lader fertig und bereit für die Weiterfahrt sind. Kaum ein Stopp dauert länger als zehn Sekunden.

Alle drei sind sie seit rund 25 Jahren bei der Müllabfuhr. Und erinnern sich noch genau daran, wie es früher war. „Der Müllwagen hatte damals keine Automatik“, sagt Lantzinger. „In einer Schicht habe ich bestimmt tausend Mal die Kupplung gedrückt.“ Doch der technische Fortschritt habe auch seine Kehrseite: „Die Müllautos werden immer größer. Früher passten vielleicht sechs Tonnen Müll rein, heute sind es zwölf“, so Lantzinger. „Ja, die Arbeit wird mehr“, stimmt auch Campos zu. „Aber wir sind zufrieden.“ Alle drei nicken. Der Verdienst sei zwar nicht ganz so hoch, wie man sich das immer bei der Müllabfuhr vorstelle, aber alle lebten sie komfortabel, hätten Familien und Häuser, könnten auch mal Urlaub machen.

„Ein extrem wichtiger, aber auch ein Knochen-Job“

Udo Ostertag nennt das Kind beim Namen: „Bei der Müllabfuhr zu arbeiten, ist ein extrem wichtiger, aber auch ein Knochen-Job“, sagt der Leiter der Betriebsstelle in der Burgholzstraße 41 in Stuttgart-Münster, von wo aus die Müllmänner täglich in die Nord-Stuttgarter Bezirke, aber auch bis nach Untertürkheim starten. „Den kann man auch nicht bis ins hohe Alter machen.“ Derzeit liege das Durchschnittsalter in seinem Betrieb bei 47 Jahren – es deutet sich also ein Nachwuchsproblem an. Ostertag hofft daher, dass noch viele in die Fußstapfen von Lantzinger, Montero und Campos treten. Für einen Posten als Müllwagenfahrer braucht man einen Lastwagen-Führerschein und eine sogenannte Berufskraftfahrerqualifikation. Für einen Job als Lader sind ein Schulabschluss und ausreichende Deutschkenntnisse Voraussetzung. Außerdem sollte man körperlich und geistig belastbar sein und eine schnelle Auffassungsgabe haben. Denn die Arbeit muss schnell gehen. „Alle denken, das sei so einfach“, sagt Franz Lantzinger. „Aber das ist es nicht.“ Und nach so einem Tag als Beifahrer auf dem Müllwagen glaubt man ihm das auch.