Die Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) liest Grundschülern bei den Leseohren in Deutsch und Türkisch vor. Angesichts ihres vielfältigen Stuttgarter Publikums betont sie den Wert der Mehrsprachigkeit.

„Wer spricht türkisch?“, fragt Muhterem Aras die vor ihr sitzende Kinderschar. Viele Hände werden gestreckt. Die Landtagspräsidentin, Kurdin aus der Türkei und im Alter von zwölf Jahren nach Deutschland verpflanzt, liest am Tag der Muttersprache in der Stadtbibliothek für den Verein Leseohren vor. Auf Deutsch und auf Türkisch.

 

Doch die Grundschüler aus der Hattenbühl-, Marien- und Raitelsbergschule sprechen auch griechisch, spanisch, arabisch, polnisch, russisch und urdu wie Aced aus Pakistan, und bringen die ganze polyglotte Vielfalt Stuttgarts mit: „Wow, das ist ja super“, staunt die Politikerin und betont den Wert der Mehrsprachigkeit: „Kinder, die in ihrer Muttersprache gut zuhause sind, lernen auch andere Sprachen besser. Das ist der Schatz, der in diesen Kindern steckt.“ Sie habe es an ihrer eigenen Biografie gesehen.

Griechisch als „Geheimsprache“ mit der Freundin

Muhterem Aras hat eine Geschichte von einem Kinderbücher fressenden Monster mitgebracht. Zuerst bekennt sie, dass ihre feste Absicht, ihre beiden Kinder zweisprachig zu erziehen, nicht ganz erfolgreich war: „Meine Tochter hat Türkisch als Kind abgelehnt. Und jetzt tut es ihr leid.“ Aber dann will sie so viel wie möglich von den Kindern wissen, die munter und kein bisschen schüchtern erzählen. Elly schießt mit ihrer internationalen Familie den Vogel ab: Der Papa komme aus Frankreich, die Mama aus Deutschland, sie selbst sei aus Italien und die Schwester aus England. Ein kleines blondes Mädchen verrät, dass sie griechisch lernen wolle, weil ihre Freundin aus Griechenland komme: „Dann haben wir eine Geheimsprache“, kichert sie verschmitzt.

Es wird in vielen Sprachen gelesen

Schließlich lauschen doch alle der Geschichte vom gefräßigen Monster, das den Kindern die liebste Lektüre nimmt, aber zum Glück kuriert werden kann. Zuerst in Deutsch. Als Muhterem Aras ins Türkische wechselt, wird die Gruppe kleiner, die anderen Kinder verteilen sich in den Nischen, wo Lesepaten für andere Sprachen warten: Carlos Severien, der sich bei der „Leseheimat“ für geflüchtete Kinder engagiert, hat „El gran libro de los Cuentos“ mit spanischen Märchen und Fabeln mitgebracht, Beatrice Rosso und Jonas Nicoletti lesen auf Italienisch vor und Ludmilla Kalaschnikova, vor 22 Jahren aus Moskau nach Stuttgart gekommen, Märchen auf Russisch von Alexander Puschkin. Raffaele lauscht ihr hingerissen. Warum nicht seiner Muttersprache italienisch? „Das kann ich doch“, sagt er selbstbewusst, „ich wollte eine andere Sprache hören und Russisch klingt sehr schön.“ Ludmilla Kalaschnikowa seufzt: Die Liebe zu ihrer Muttersprache kann ihr auch der Mann im Kreml nicht nehmen.