Mit der Ausstellung „Adieu Plastiktüte!“ verzeichnet das Museum der Alltagskultur einen Besucherrekord. Bedarf es umstrittener Objekte wie der Tragetasche aus Kunststoff, damit Besucherzahlen in die Höhe schnellen?

Waldenbuch - Das Museum der Alltagskultur verabschiedet Plastiktüten in den Ruhestand. Mehr als 10 000 Besucher lockte die Sonderausstellung über Tragetaschen schon an. Dass gerade Plastiktüten sich als Besuchermagnet erweisen, sagt viel darüber aus, in welche Richtung sich Museen orientieren müssen, erklärt der Museumsleiter Markus Speidel.

 

Herr Speidel, warum locken ausgerechnet Tragetaschen so viele ins Museum?

Das hat zwei Gründe. Der eine ist die aktuelle Diskussion um die Plastiktüte und dass sie abgeschafft werden soll. Der andere Grund ist, dass vielen spätestens in der Ausstellung bewusst wird, was für ein alltäglicher Gegenstand die Tüte ist. Es gibt wahrscheinlich kaum einen Menschen auf der Welt, der nicht schon mal eine Plastiktüte in der Hand hatte.

Die Tragetaschen aus Kunststoff sollen nun wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die Umwelt aus dem Verkehr gezogen werden. Warum stellen Sie nun ausgerechnet Plastiktüten aus, die Parks verunstalten und Flüsse vermüllen?

Für uns ist an dem Gegenstand interessant, wie er genutzt wird und welche Bedeutung an ihm hängt. Das wird natürlich dann besonders spannend, wenn so ein Objekt zum Gegenstand einer Diskussion wird. Andererseits müssen wir auch Dinge aufbewahren, um späteren Generationen das Hier und Jetzt zu erklären.

Bedarf es solch umstrittener Gegenstände, um als Museum Aufmerksamkeit zu generieren?

Objekte wie die Plastiktüte helfen dabei, Debatten aufzugreifen und dadurch einen Anreiz für den Besuch zu schaffen. Museen müssen weg von einer reinen historischen Schau von Objekten und hin zu einer Diskussion über aktuelle Themen. Umstrittene Objekte sind da eine besondere Attraktion, weil man durch sie Diskussionen und Austausch anregt. Immer nach kritischen Objekten zu suchen, ist jedoch keine Lösung. Das mag vielleicht die Besucherzahlen in die Höhe treiben, ist aber andererseits Effekthascherei.

Doch gerade jüngere Generationen lockt man vor allem durch aktuelle Objekte ins Museum. Welche weiteren Anreize kann man schaffen?

Durch aktuelle Themen ist die Chance größer, Besuchergruppen ins Haus zu locken, die sonst eher seltener kommen. Aber junge Erwachsene bekommt man nicht nur durch Themen, sondern vor allem durch Veranstaltungen. Das größte Problem ist das Image, das Museen anhaftet. Der Name Museum ist so mit Staub belastet, dass die Hürde für einen Besuch hoch ist.

Was hilft dabei, diese Hürden abzubauen?

Da hilft zum einen der freie Eintritt. Das alleine reicht jedoch noch nicht. Es muss Angebote geben, die den Besuch in einem Museum attraktiv machen.

Welche Angebote haben Sie initiiert?

Zum Beispiel hat sich eine Musiklounge im Stil der 80er Jahre etabliert. Das sind Erinnerungsmomente, die über Generationen hinweg funktionieren, weil dort die Eltern ihren Kindern die Musik ihrer Jugend näherbringen. Ein anderes Beispiel ist die Upcycling-Werkstatt. Eine Frau hat sich von dieser so inspiriert gefühlt, dass sie Umhängetaschen aus Plastiktüten angefertigt und uns zugesendet hat. Diese hängen wir nun auf.

Das EU-Parlament hat beschlossen, in Zukunft Wegwerfprodukte aus Plastik zu verbieten. Sind bald auch Wattestäbchen und Strohhalme in einer Ausstellung zu begutachten?

Wenn Objekte verschwinden, wird es für Museen spannend, weil eine Diskussion über sie ausbricht. Diese Diskussion zeigt sich bei uns nicht nur in der Ausstellung. Früher haben Besucher an unserem Kaffeeautomaten einen Pappbecher bekommen, heute können sie Porzellantassen nutzen, die anschließend gespült werden. Das ist eine Reaktion, die sich auf unser Haus direkt ausgewirkt hat.