Das Land reagiert sich gerade sehr eifrig an einem hirnlosen Trash-Hit namens „Layla“ ab. Wir haben lieber nachgehört, ob es nicht auch im Sommer 2022 Hits gibt, die den Hörern bereits unterhalb der Zweipromillegrenze Spaß machen – und sind fündig geworden.

So schlecht kann es uns gerade wohl nicht gehen. Trotz Krieg, Inflation, Irgendwie-noch-Corona und der Aussicht, demnächst an jedem Monatsersten von Robert Habeck einen Eimer Warmwasser vor die Tür gestellt zu bekommen, der dann vier Wochen reichen muss, leistet sich das Land eine sogenannte Debatte, wie es sie seit Falcos vermeintlicher Minderjährigenmeuchelfantasie „Jeanny“ anno 1985 nicht mehr gegeben hat. Losgetreten ausgerechnet unter anderem von einem Düsseldorfer Schützenverein, der das Lied nicht auf der von ihm organisierten Kirmes hören wollte, scheint gerade ein jeder Mensch eifrig dabei, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob „Layla“ nun verboten gehört, einfach nur doof oder doch leider auch geil ist. Sogar Justizminister und Dance-Produzent Marco „MBSounds“ Buschmann (FDP) hat sich eingeschaltet und plädiert, wie üblich, auf Lockermachen. Sicher, die am Ballermann groß gewordene Schlager-Stampf-Nummer über eine „Puffmama“, die „schöner, jünger, geiler“ ist, brennt beim Mitgrölen so stumpf, banal und uncharmant in der Durstkehle, dass daneben selbst Andreas Gabalier („Bügel dein Dirndl gscheit auf“) wie Goethe wirkt.

 

Aber eine gefestigte Demokratie kann und sollte selbst ein wahnsinnig altbackenes und, ja, auch sexistisches Lied wie „Layla“ von den beiden aus dem schwäbischen Nordosten stammenden Bumsbirnen DJ Robin (eigentlich Robin Leutner) und Schürze (eigentlich Michael Müller) irgendwie aushalten können. Denn zum einen muss ein feministisches, Wokeness und Awareness beförderndes Mallorca-Sauflied erst noch geschrieben werden, und zum zweiten kann auf empirischer Evidenz basierend berichtet werden, dass „Layla“ mit jedem Humpen Hopfenkaltschale ein kleines bisschen von seinem Schrecken verliert.

Ein feministisches und Awareness beförderndes Mallorca-Sauflied muss erst noch geschrieben werden

Von Geheimtipps bis Welthits

Während „Layla“ jedenfalls seit Wochen unangefochten die Charts anführt und dem Song der Titel „Sommerhit des Jahres“ (als Nachfolger von Ed Sheerans „Bad Habits“) kaum noch abspenstig gemacht werden dürfte, lohnt sich ein Blick auf die Frage, wozu die verschwitzten Körper in der Hitzewelle denn sonst noch so schwofen. Als noch halber Geheimtipp pirscht sich Deutsch-Rap-Pimpf Liaze gerade rasant nach vorne. Der Junge, wie längst gang und gäbe zuerst auf Tiktok populär geworden, hat sich – mit dem Segen der Band – die Coldplay-Nummer „Paradise“ vorgenommen und daraus eine tropisch-lässige Chill-out-Version gebastelt, die noch besser wäre, wenn der Kitsch seines Rap-Vortrags nicht gar so sehr triefen würde.

Auch Jack Harlow (24), als nächster Eminem gehandelt und aus Louisville/Kentucky, ist ein Kind von Tiktok, musikalisch aber schon deutlich beschlagener. Sein auf einem soften Piano-Beat aufgebauter Song „First Class“ perlt wie gekühlter Prosecco.

Versiert webt Harlow dazu ein Sample von Fergies 2006er-Hit „Glamorous“ in seine Komposition ein. Die nötige Portion Strandkompatibilität bringen auch die zahlreichen Werke des Produzenten & Rapper-Gespanns Miksu/Macloud auf. Besondere Baggerseenähe beweisen die beiden Essener mit „Sehnsucht“ – um im Getränkevergleichsmodus zu bleiben einer ganz leicht zu süßen Sommerschorle nicht unähnlich. Für den Schuss Tequila sorgt ein weiteres Mal jene Camila Cabello, die vor drei Jahren mit „Señorita“, einem Duett mit ihrem damaligen Herzbuben Shawn Mendes, bereits zu Sommersuperhitehren kam. Nun besingt Camila auf dem recht entspannten und in gutem Sinne einfach netten Pop-mit-etwas-Latin-Einfluss-Stück „Bam Bam“ über das Ende ihrer großen Liebe, als platonischer Gesangspartner ist Ed Sheeran mit dabei. Wer es lateinisch authentischer mag, könnte sich an „Pareja Del Año“ vom kolumbianischen Superstar Sebastián Yatra im Verbund mit Myke Towers wagen. Sehr stabil in der Gunst der sommerlich Hörvergnügten liegt schon seit Monaten der allseits umjubelte Geschlechtergrenzen-Plattmacher und Ex-Boyband-Beau Harry Styles mit seiner fluffigen 80ies-Pop-Hommage „As it was“ sowie seit Kurzem auch mit der herzigen Feelgood-Hymne „Late Night Talking“. Lust, die Luftmatratze mit dem Mund aufzublasen oder wenigstens mal wieder die alten Beach-Tennis-Bretter vom Keller in den Garten zu holen, bekommt ohne Umschweife, wer irgendwo „About damn Time“ zu Gehör kriegt. Der Hit von Lizzo (34), Rap-Superstar und Diversitätsaktivistin aus Los Angeles, ist dermaßen empowernd, wie man heute sagt, dass die Energie sofort irgendwo hin muss. Doch der Sommerhit der Herzen ist „Big Energy“, die Interpretin nennt sich Latto. Und ehrlich, was macht das Lied für eine Superlaune.

Das beste zum Schluss

Mit seinem Funk-Pop erinnert „Big Energy“ so ein wenig an „Uptown Funk“ von Bruno Mars und Mark Ronson, der Song sprudelt vor Positivität und dass er mehr als nur dezent an den leicht hedonistischen Cabrio-Pop der Neunziger erinnert, liegt auch daran, dass Latto, bürgerlich Alyssa Stephens, 23, aus Georgia, hier die alte Mariah-Carey-Nummer „Fantasy“ sampelt. Im Remix ist Carey sogar selbst mit dabei. Nun ist auch Latto eine gewisse textliche Derbheit im sexuellen Sinne nicht fremd, sie rappt etwa über „big dick energy“ und „pussy juicy“, nur geht es bei ihr um Selbstbehauptung, Female Power und Gleichberechtigung. Der Unterschied: Wenn Latto Sex will, dann sagt sie das auf sehr direkte Weise dem Partner oder der Partnerin. Und nicht Schürze-mäßig verdruckst der Puffmutter.