Millionen haben nach den Anschlägen auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ihre Solidarität bekundet. Was ist davon geblieben? Eine Diskussion im Literaturhaus ist dieser Frage nachgegangen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Was darf Satire? Katharina Greve zögert keine Sekunde mit der Antwort: „Satire darf alles!“ Für die Karikaturistin ist es zentral, dass sie sich bei ihrer Arbeit keine Grenzen setzen lassen will. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie sich beim Zeichnen grenzenlose Freiheiten herausnimmt. „Die entscheidende Frage ist, wo hört Satire auf, und wo fängt Diffamierung an?“, unterstreicht die Berlinerin und schiebt zur Verdeutlichung ein Beispiel nach: Den Holocaust zu leugnen sei auch in der Form einer Karikatur schlicht Volksverhetzung.

 

Was darf Satire? Diese Frage wird seit den blutigen Anschlägen auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im vergangenen Januar in Paris immer wieder gestellt. Am Mittwoch machten sich Katharina Greve und Axel Veiel, der Frankreich-Korrespondent der Stuttgarter Zeitung, im ausverkauften Stuttgarter Literaturhaus auf die schwierige Suche nach einer Antwort. „Nach Charlie!?“ war der vom Institut Français Stuttgart mitorganisierte Abend betitelt. Schnell wurde deutlich, dass die beiden Referenten nicht nur über die Arbeit von Karikaturisten und Journalisten räsonierten, im Mittelpunkt der Diskussion stand immer wieder auch unser Grundverständnis von Demokratie sowie das eigene Verhältnis zur Religion im Allgemeinen und zum Islam im Besonderen.

Es geht um die richtigen Konsequenzen

Es habe einige Zeit gedauert, bis er die Tragweite der Anschläge wirklich erfasst habe, gestand Axel Veiel. „Ich habe in jenen Tagen drei Phasen durchlaufen: zuerst Schock, dann Trance, schließlich Euphorie.“ Seine Arbeit als Journalist habe ihm geholfen, über das erste Entsetzen hinweg zukommen, erinnerte sich der StZ-Korrespondent. Tag und Nacht habe er professionell funktioniert, bis er am Tag des Trauermarsches in Paris von der millionenfachen Euphorie der Masse mitgerissen worden sei. Veiel: „Alle waren wir plötzlich Charlie.“ Doch schnell habe er realisiert, dass das Plädoyer für Toleranz und der Slogan „Je suis Charlie“ nicht die ganze Wahrheit waren. „Das städtische Bürgertum und die Intellektuellen haben sich bei dem Trauermarsch versammelt“, erklärt Axel Veiel, doch die Arbeiterschaft oder die Menschen aus den ärmeren Vororten von Paris habe an der Kundgebung nicht teilgenommen. Die traurige Tatsache sei, dass heute der fremdenfeindliche Front National im Aufwind ist. „56 Prozent der Franzosen sagen, dass der Islam – nicht der Islamismus – eine Gefahr für Frankreich sei“, zitierte der Frankreichkenner eine aktuelle Umfrage. Aus seinen Worten spricht eine tiefe Skepsis, dass die meisten Menschen die richtigen Konsequenzen aus den schrecklichen Attentaten auf die Zeitschrift gezogen haben.

Diese Gefahr sehe sie auch für Deutschland, warnt die Karikaturistin Katharina Greve. So werde offenbar von konservativer Seite daran gearbeitet, den sogenannten Gotteslästerungsparagrafen im Strafgesetzbuch zu verschärfen. „Das kann nicht hingenommen werden. Das wäre ein Schritt zurück, hinter die Errungenschaften der Aufklärung“, sagte die Karikaturistin, die unter anderem für die Satirezeitschrift Titanic arbeitet.

Einem Eindruck traten beide Referenten allerdings entschieden entgegen. Weder der Journalist noch die Karikaturistin gingen nach den blutigen Anschlägen aus Angst um die eigene Existenz mit einer „Schere im Kopf“ an ihre Arbeit. Das Bewusstsein für das eigene Tun sei angesichts der vielen Diskussionen über das Thema vielleicht gestiegen, aber eine Selbstzensur gebe es nicht.