Unter Auflagen sind Aufführungen in geschlossenen Räumen seit Pfingstmontag möglich. Doch möglich bedeutet nicht gleich umsetzbar. Deshalb bleiben auch weiterhin viele Bühnen geschlossen. Nur das Wortkino in Stuttgart ist seit dem 1. Juni wieder im Spielbetrieb.

Titelverantwortliche Redakteurin Stuttgarter Nachrichten: Veronika Kanzler (kan)

Stuttgart - Stimmgewaltig, mit einer Art Befreiungsschlag, präsentiert sich das Wortkino zurück aus der Corona-Zwangspause. Zwar ist alles anders als sonst – natürlich. Denn eigentlich spielen sie das Stück „50 Jahr blondes Haar – Fünf Jahrzehnte Politik und Schlager“ zu viert. Eigentlich können sie sich frei auf der immerhin sechs Meter breiten und zehn Meter tiefen Bühne bewegen. Eigentlich kommen darin keine Passagen zu der aktuellen Corona-Pandemie vor. Und eigentlich geht das Stück doppelt so lang wie an diesem Abend. Egal, die beiden Schauspielerinnen des Abends, Gesine Keller und Ella Werner, benutzen Superlative, um ihre Gefühlslage auszudrücken. Und Werner fügt hinzu: „Trotzdem ist es immer noch wie im Traum – einfach verrückt“.

 

Das Stammpublikum hat mit das Überleben gesichert

Nicht nur für die Schauspielerinnen war dieser Abend besonders. Die Besucher – acht Personen – waren bereits vor der Aufführung begeistert. Alle gehören zum Stammpublikum des Wortkinos und haben so von der Wiedereröffnung erfahren. Für Peter Keller war es höchste Zeit: „Ich empfand einen starken Entzug.“ Ulrike Sinnig und Bozena Zolynska erging es ebenso. Ihnen fehlte auch das ganze Drumherum, das zu einem Theaterabend gehört: „Es ist ein wunderbares Gefühl, sich anzuziehen und rauszugehen“, findet Sinnig.

Warum gerade das kleinste Theater als erstes öffnete, dafür findet Katja Ritter, Pressesprecherin und Mit-Betreiberin des Wortkinos, viele Gründe. Den ersten, den sie nennt, sind die Geldgeschenke, die vom Stammpublikum kamen. „Das war der Wahnsinn“, sagt sie erfreut. Daran geknüpft und nicht minder wichtiger „hat es auch sehr geholfen, die unzähligen lieben Botschaften, Motivationsschreiben und Dankesbriefen von ehemaligen Besuchern zu bekommen“, so Ritter. Geldgeschenke waren es deshalb, weil das Wortkino als Betrieb firmiert und deshalb keine Spenden annehmen darf.

In der Zwangspause spielte das Ensemble in privaten Gärten

Es gehört zum mobilen Theater Dein Theater, welches deutschlandweit unterwegs ist und, laut Ritter, jeden nur vorstellbaren Raum in eine Bühne verwandeln kann. Das Wortkino fungiert als Hausbühne des 15-köpfigen Ensembles. Auch das sei ein Grund, warum sie so flexibel agieren konnten: „Uns sind zwar alle gebuchten Auftritte ab Mitte März gestrichen worden. Aber Privatpersonen konnten uns buchen, damit wir in einem Hinterhof, in einem Garten oder sogar auf dem Gehweg für sie spielen – immer mit dem gebührenden Abstand“, erzählt Ritter. Das hatte den positiven Effekt, dass nicht alle Einnahmen ausgeblieben sind. Zudem half auch die Corona-Soforthilfe des Landes, das den selbstständigen Schauspielern ausgezahlt wurde.

Neben all den monetären Mitteln gab es noch einen entscheidenden Punkt, der mit Geld nicht zu haben ist: „Seit 36 Jahren arbeiten wir als Team, als Ensemble zusammen“, so Keller. Da lernt man sich gut kennen – auch, weil es kein Riesenbetrieb sei. Und viele der Schauspieler, die alle als Freiberufler arbeiten, übernehmen Aufgaben im Betrieb des Theaters, wie das Kartentelefon zu besetzen oder das Archiv zu verwalten.

Ungewisse Zukunft des Theaters

Trotz der Euphorie ob des Neustarts: „Wir wissen nicht, ob wir es langfristig schaffen werden zu überleben“, sagt Ritter. „Selbst wenn die Lockerungen nun voranschreiten“, gibt Katja Ritter zu bedenken, „haben doch gerade fast alle Institutionen, Unternehmen und Privatpersonen damit zu kämpfen, dass die Einnahmen fehlen“. Für Gesine Keller lautet das Gebot der Stunde: Weitermachen. Sich nicht den Sorgen hingeben.

Nach der einstündigen Schlagerrevue gepaart mit der Geschichte der Bundesrepublik und scharfzüngigen Bemerkungen zum Zeitgeschehen zeigt sich das Publikum begeistert. Auf Jubel-Rufe wird verzichtet – stattdessen wird zusätzlich zum Applaus mit den Füßen gestampft. Keller und Werner freuen sich, dass sie nach der elfwöchigen Corona-Zwangspause nun wieder live und direkt erleben dürfen, wie sehr ihre Arbeit geschätzt wird.

An diesem Freitag, 5. Juni, spielt das Wortkino „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ um 19 Uhr. Von Samstag, 6. Juni, bis Montag, 9. Juni, wird dann die Satire „Die sieben Schwaben“ jeweils um 19 Uhr aufgeführt. Weitere Infos unter: www.wortkino.de