Konservative und Wirtschaftsliberale attackieren Merkel scharf wegen der Aufgabe des Finanzressorts – aber das Kanzler-Lager bleibt gelassen.

Berlin - Es quietscht. Nicht nur in der notorisch hadernden SPD. Auch die Christdemokraten leiden. Und sie leiden laut. Dass die Kanzlerin den Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen das Finanzressort zugestanden hat, zusätzlich zum Außen- und zum Arbeitsministerium, löst überall in der Partei Unbehagen und mancherorts offene Empörung aus. Was ist das? Nur das altbekannte Gegrummel der üblichen Verdächtigen? Oder braut sich da mehr zusammen? Im Kanzleramt ist man hellwach. Noch steht die neue Regierung nicht, und Angela Merkel muss auf dem Weg in ihre vierte Amtsperiode noch einen Parteitag überstehen.

 

„Der Abgang wird nicht freiwillig sein“

Tatsächlich sind es zunächst die üblichen Verdächtigen, die das Übliche sagen. Aber in unüblicher Weise. Die Wortwahl ist mitunter ausgesucht heftig. Alexander Mitsch ist Vorsitzender der Werte-Union, einem neueren Sammelbecken der Konservativen in der Union. Die haben ohnehin seit langem das Vertrauen in Angela Merkel verloren. Mitsch, er kommt aus der Rhein-Neckar-CDU, nennt den Koalitionsvertrag im Gespräch mit unserer Zeitung ein „absolutes Debakel“. Die SPD „hätte in einer rot-grünen Koalition nicht mehr herausholen können“, findet er. Die Union habe „ihre Seele zugunsten des Machterhalts von Angela Merkel geopfert“. Das mit der SPD ausgehandelte Personaltableau sei „eine Kampfansage an Konservative und Wirtschaftsliberale in der Union“. Dann kommt noch eine ausgesucht düstere Prophezeiung für die Kanzlerin: All das werde „das Ende der Ära Merkel beschleunigen“. Er gibt ihr „keine vier Jahre mehr“ und der Abgang werde „nicht freiwillig sein“.

Heftige Töne aus dem Südwesten

Der Hinweis auf die Wirtschaftsliberalen hat sich der Konservative gut überlegt. Die beiden Parteiströmungen sind durchaus keine natürlichen Verbündeten. Aber in ihrer Wut über den Verlust des Finanzministeriums ist man sich herzlich einig. Interessanterweise kommen auch hier die harschesten Töne aus Baden-Württemberg. Die Mittelstandsvereinigung der Südwest-CDU findet, die geplante Besetzung der eigenen unionsgeführten Ministerien gleiche „einem Versorgungsnetzwerk für Minister, die entweder dem Klüngel Merkel angehören und/oder deren Zeiten schon lange abgelaufen sind“. Lange genug habe die Basis zum Wohle der Partei die Füße still gehalten. „Damit muss nun Schluss sein“, sagt der MIT-Landesvorsitzende Daniel Hackenjos. Nicht die Basis sei das Problem und gehöre ausgetauscht, „sondern die Führung“. Zumindest die Sachkritik wird beim Wirtschaftsflügel der CDU durchgängig geteilt. Zum Beispiel: Die geplante Ressortaufteilung wiege schwer und gehe „mitten ins Mark der CDU“, sagt Carsten Linnemann, CDU-Vorstandsmitglied und Bundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung. Die Verteilung lasse „jede Ausgewogenheit vermissen“. Oder: Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, nennt den Ressortzuschnitt „ein miserables Verhandlungsergebnis“. Oder: Christian von Stetten, Bundestagsabgeordneter (Schwäbisch Hall/Hohenlohe) und Chef des CDU-Parlamentskreises Mittelstand, hält den Kabinettszuschnitt für „einen politischen Fehler“.

Die Kanzlerumgebung gibt sich gelassen

Auch das sind Töne, die zumindest in der Tendenz nicht neu sind. Bei den Wirtschaftsliberalen steht die Kanzlerin ohnehin im Verdacht sozialdemokratischer Umtriebe. Was aber in der CDU-Spitze sehr genau und durchaus mit Sorge registriert wird, ist, dass sich mit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther jemand mit ganz ähnlicher Kritik zu Wort meldet, der bislang eher als Unterstützer Merkels ausgefallen ist. Jedenfalls lässt sich der Chef des Kieler Jamaika-Bündnisses ganz gewiss nicht in die Reihen konservativer oder erzliberaler Merkel-Gegner einsortieren. Günther nennt den Verlust des Finanzressorts „eine Einbuße, die vom Wahlergebnis nicht gedeckt ist“. Er pocht darauf, das bei der Besetzung der Unionsressort „Merkels Versprechen einer Erneuerung“ eingelöst werde.

Das alles klingt für die Kanzlerin nicht gut. Dennoch ist ihre Umgebung noch einigermaßen gelassen. Das hat mindestens zwei Gründe. Einer ist die Lage in der Fraktion. Die erste Sitzung nach dem Abschluss mit der SPD ist in dieser Woche bei aller Kritik glimpflich abgelaufen. Selbst potenzielle Widerständler wie der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak stellen inhaltliche Erfolge nicht in Abrede. In gleicher Tonlage sagte der neue Chef der jungen Gruppe in der Fraktion, der Thüringer Mark Hauptmann, unserer Zeitung: „Inhaltlich haben wir gut verhandelt.“ Die Stimmung in der Fraktion fasst der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich wohl treffend so zusammen: „Vom Personaltableau ist niemand begeistert. Daran muss die Partei schon schlucken. Aber in der Sache herrscht Zufriedenheit. Da haben wir viel erreicht.“ So sieht das auch Andreas Jung, der Chef der Südwest-Landesgruppe in der Fraktion. Er findet, die Kritiker hätten in der Fraktionssitzung „alles andere als ein Scherbengericht veranstaltet“. Jeder wisse, dass die Union „nicht hätte erklären können, wenn die Koalition nicht an Inhalten, sondern an Personalfragen gescheitert wäre“.

Der Seehofer-Faktor

Der zweite Grund, der im Kanzleramt für gewisse Zuversicht sorgt, ist der Seehofer-Faktor. Die CSU kann sich nicht beklagen. Sie stellt künftig mit Horst Seehofer den Innenminister. Damit wird es in Sachen Migrationspolitik keine Störfeuer mehr geben. Damit verlieren konservative Merkel-Gegner bis auf weiteres einen wichtigen Bündnispartner.

Dennoch hat man sich im Merkel-Lager auf eine Vorwärts-Verteidigung verständigt. Bis zum Parteitag will man die Debatte nicht treiben lassen, sondern aktiv gestalten. Die Strategie setzt auf drei Punkte. Erstens will man immer die inhaltlichen Erfolge beim Verhandlungspoker mit der SPD herausstreichen: die Bürgerversicherung kommt nicht, die Zuwanderung wird begrenzt, es gibt mehr Geld für Familien, die schwarze Null steht und neue Schulden werden nicht gemacht, es gibt Verbesserungen bei der Pflege und Investitionen in Bildung und Digitalisierung. Wenig ist das jedenfalls nicht. Zweitens will man Gegner und Kritiker zur Antwort auf die Frage zwingen, ob man es hätte öffentlich durchstehen können, die Koalition wegen des Streits um Ministersessel platzen zu lassen.

Ministerlisten sind nicht offiziell

Politisch sehr bedeutend könnte noch der dritte Punkt werden. Sowohl die CSU als auch die Kanzler-Umgebung gibt sich derzeit auffallend Mühe, die kursierende Liste mit den Namen der künftigen Unionsminister herunterzuspielen. Angeblich weiß niemand mehr, woher diese Zusammenstellung überhaupt komme. Sie soll keinerlei offiziellen Charakter haben. Tatsächlich versicherte Angela Merkel der Fraktion, dass außer Peter Altmaier als Wirtschaftsminister niemand gesetzt sei. Auch in der CSU hieß es, dass man erst nach dem SPD-Mitgliederentscheid über die Nominierungen entscheide. Klar ist hier nur, dass Horst Seehofer das Innenressort übernimmt. Merkel behält sich also vor, dem Ruf nach weitergehender Erneuerung nachzugeben, wenn der Widerstand weiter wächst.