Für den Islamischen Staat sind Online-Plattformen wie Twitter wichtige Propaganda-Instrumente. Doch nun ziehen Hacker gegen das Terrornetzwerk in den Cyberkrieg – und geraten in einen Gewissenskonflikt.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)

Stuttgart - Der Sprecher trägt eine Kutte, die Kopf und Körper verhüllt, dazu verdeckt die typische Maske des britischen Widerstandskämpfers Guy Fawkes sein Gesicht. Mit ruhiger, verstellter Stimme spricht er seine Botschaft in die Kamera. Rechts von ihm werden Handyvideos und Fernsehbilder zu den Anschlägen in Paris abgespielt. Auf der linken Seite prangt das Logo der Hackergruppe Anonymous. Der Clip ist eine Warnung, adressiert an die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

 

Im Namen von Anonymous erklärt der Sprecher in dem Video dem Islamischen Staat den Krieg und droht mit Vergeltung. „Diese Angriffe dürfen nicht ungestraft bleiben“, betont er. Hacker aus aller Welt würden nun „massive Cyberattacken“ gegen die Mitglieder des IS starten. „Der Krieg hat begonnen. Macht euch bereit.“

Es ist eines von vielen verschiedenen Youtube-Videos, die seit den grausamen Terrorangriffen auf Paris im Netz aufgetaucht sind. Die meisten Clips werden im Namen von Anonymous verbreitet. Ob auch wirklich Anonymous dahintersteckt, lässt sich jedoch schwer sagen, da es innerhalb des losen Hacker-Verbunds keine Hierarchien gibt und die Aktionen auch nicht zentral organisiert werden. Doch die Botschaft auf allen wichtigen Kanälen der Hackergruppe lautet gleich: Anonymous erklärt dem IS den Krieg.

Hetzbeiträge gegen den Westen

Das Projekt #OpISIS wird mit neuer Härte und neuen Unterstützern fortgesetzt, denn bereits seit mehr als einem Jahr bekämpfen Internetaktivisten die Terrormiliz im Internet. Die Hacker von #OpISIS haben in dieser Zeit nach Informationen des US-Magazins „Foreign Policy“ bereits rund 150 Webseiten, 6000 Propagandavideos und mehr als 100 000 Twitter-Accounts unschädlich gemacht, die mit dem Islamischen Staat in Verbindung gebracht werden.

Vor allem die sogenannte Ghost Security Group verzeichnet große Erfolge beim Kampf gegen die Online-Propaganda des Terrornetzwerks. Viele der Mitglieder distanzieren sich zwar von Anonymous, um mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten zu können, aber einige gehören noch immer zum Hackerkollektiv. Ihre Aufgabe: die Mitglieder veröffentlichen bei Twitter unter dem Account @CtrlSec etwa alle fünf Minuten eine neue Liste mit Twitter-Nutzern, die Propaganda-Botschaften der radikalen Islamisten verbreiten. An dieser Liste sollen sich die Twitter-Aufseher orientieren und Mitglieder sperren, die zu Gewalt aufrufen.

Schaut man sich die Nachrichten der mutmaßlichen IS-Twitterer genauer an, dann stößt man tatsächlich häufig auf Hetzbeiträge gegen den Westen. Ein Nutzer veröffentlichte zum Beispiel ein Video, das offenbar syrische Schüler im Unterricht zeigt, die sich aufgrund einer Explosion in der Nähe unter den Tischen verstecken. Dazu schreibt ein Nutzer unter dem Hashtag #ParisAttacks, dass auch die Angriffe auf diese Schüler unmenschlich seien und dass sich Europa und die USA sich nicht für die Menschen in Syrien interessierten.

Das Internet ist für die IS-Terroristen aber nicht nur eine wichtige Plattform, um den Westen in ein schlechtes Bild zu rücken und neue Rekruten anzulocken. Die hochgeladenen Fotos, Videos und Textnachrichten sollen in erster Linie Angst und Schrecken verbreiten. Dafür schleusen die IS-Anhänger häufig auch bestialisches Material ins Netz, wie das Video, das die Enthauptung des US-Journalisten James Foley zeigt. Dieses Propagandamaterial verbreitet sich sehr schnell im Internet, da der Islamische Staat gut vernetzt ist – über soziale Netzwerke, Messenger und Kurznachrichtendienste wie Twitter.

IS-Anhänger geben Tipps gegen Cyber-Angriffe

Laut Forschern der Brookings Institution in Washington koordinierte der IS im letzten Quartal des vergangenen Jahres geschätzt bis zu 70 000 Twitter-Accounts.

Trotz der großen Abhängigkeit von Online-Plattformen geben sich die IS-Kämpfer bislang unbeeindruckt von den Drohungen der Anonymous-Hacker. Einem Bericht des Wirtschaftsmagazins „Business Insider“ zufolge wird derzeit eine Nachricht des Terrornetzwerks über den Messenger-Dienst „Telegram“ verbreitet, mit dem verschlüsselte Nachrichten verschickt werden können. In der Mitteilung empfiehlt demnach ein IS-Mitglied, immer wieder die IP-Adresse des Rechners zu ändern, keine Anhänge in Mails von Fremden zu öffnen und mit niemandem Direktnachrichten auszutauschen, den man nicht kennt.

Doch einige Anonymous-Mitglieder haben ein Problem bei der Aktion gegen die radikalen Islamisten. Der Grund: sie geraten in einen Gewissenskonflikt, denn der Kodex der Hacker verlangt eigentlich von ihnen, die freie Meinungsäußerung im Netz mit allen Mitteln zu unterstützen. So verbreiteten die Mitglieder vor einigen Jahren auch ein Video von Tom Cruise unzählige Male im Netz, das den US-Schauspieler zeigt, wie er überschwänglich Scientology bewirbt. Die Sekte wollte das Video juristisch verbieten lassen, doch die Zensur scheiterte dank Anonymous.

Nun haben sich viele Hacker dennoch dafür entschieden, die Propaganda-Äußerungen der IS-Terrormiliz zu bekämpfen und ziehen in den Cyberkrieg – aber eben nicht im Namen von Anonymous.

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