Ein Amokfahrer tötet acht Menschen in Manhattan. Doch die Bewohner der leidgeprüften Metropole lassen sich ihren trotzigen Lebensmut nicht nehmen.

New York - Es war ein ungewöhnlich schöner Herbstabend am Hudson River. Eine friedliche Stille lag über der Szenerie, so friedlich, dass es unheimlich wirkte. An jedem anderen Spätnachmittag herrscht hier ein dichtes Gedränge von Skatern, Joggern und eiligen Fahrradpendlern, doch am Dienstag war das Ufer fast menschenleer. Nur vereinzelte Läufer waren unterwegs, und ein paar wenige unbeirrte Radfahrer. „Es war mir wichtig, meine normale Route zu nehmen“, sagte Brian Sullivan, der mit dem Rad von seinem Büro in Midtown aus zur Fähre nach New Jersey fuhr. Sullivan wollte sich selbst und der Welt bewiesen, dass er sich von nichts und niemandem aus dem Takt bringen lässt.

 

Nur zwei Stunden vor seinem Feierabend waren keine anderthalb Kilometer von hier, auf dem Radweg entlang des Flusses, von einem Attentäter acht Menschen mit einem Lastwagen ermordet und elf weitere schwer verletzt worden; unter den Verletzten war eine Deutsche. Er rammte mehrere Radfahrer und Fußgänger und kollidierte zuletzt mit einem Schulbus. Daraufhin verließ er seinen Truck, wobei er ein Paintball- und ein Luftgewehr in den Händen hatte. Ein Polizist schoss dem Fahrer in den Bauch. Er wurde im Krankenhaus operiert.

Ein Einzeltäter mit Kontakten zum IS

Der Attentäter stand nach US-Angaben in Verbindung zur Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Der Gouverneur des Bundesstaates New York, Andrew Cuomo, sagte, der aus Usbekistan stammende Mann habe sich in den Vereinigten Staaten radikalisiert. Die „New York Times“ berichtete unter Berufung auf zwei Ermittler, in einer in der Nähe des Tatfahrzeugs gefundenen Notiz habe sich der Mann zum IS bekannt.

Die Behörden vermuteten weiter, dass der Mann ein Einzeltäter war. In der „New York Post“ hieß es, Ermittler hätten in dem Pick-up auch ein Bild mit einer IS-Fahne gefunden. Berichten zufolge kam der Mann 2011 in die USA und lebte in Tampa im Bundesstaat Florida. Zuletzt habe er sich in New Jersey aufgehalten, wo auch der Wagen gemietet worden sei. Beim Verlassen seines Wagens soll er laut Augenzeugenberichten „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) gerufen haben.

Halloween absagen? Niemals!

Und die New Yorker? Sie hielten entsetzt den Atem an, schüttelten sich dann kurz und gingen weiter ihren normalen Tätigkeiten nach. So bestand Bürgermeister Bill de Blasio darauf, dass nach Einbruch der Dunkelheit im Greenwich Village, keine zehn Spazierminuten von der Szene des Attentats entfernt, die Halloween-Parade abgehalten wird – eines der größten Spektakel des Jahres, mit bis zu 2 Millionen Zuschauern. „Wir lassen uns von Gewalttaten nicht einschüchtern“, sagte de Blasio in seiner Stellungnahme.

Kurz darauf marschierte de Blasio Arm in Arm mit dem New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo an der Spitze der Parade die Sixth Avenue hinauf. Und die New Yorker folgten ihm bereitwillig. „Ich habe keinen Augenblick gezögert, heute Abend hierherzukommen“, sagte eine Frau in einem Hexenkostüm in einem stark lateinamerikanischen Akzent. „Gerade an einem Tag wie heute müssen wir New Yorker zeigen, dass wir zusammenhalten und uns nicht unterkriegen lassen.“

Ein Stuttgarter am Ort des Geschehens

Diesen Eindruck hat auch der Stuttgarter Luigi Pantisano. Der Stadtrat der Linken ist zurzeit privat in New York und hatte den Radweg am Abend vor dem Anschlag auch benutzt. „Ich war mit einem Freund, den ich hier besuche, bei einer Veranstaltung der New York University. Auf dem Rückweg sind wir da entlanggeradelt“, erzählt Pantisano. Als der Anschlag geschah, sei er nur etwa 50 bis 100 Meter entfernt spazieren gegangen. „Plötzlich waren Straßen gesperrt, und alle paar Minuten ging ein Hubschrauber in die Luft. Erst zurück im Zimmer hatte ich wieder Internet und wusste, was passiert war“, erinnert er sich. Sofort beantwortete er zahlreiche Anrufe und Anfragen besorgter Freunde über Whatsapp und Facebook. „Meine Brüder waren die Ersten, damit sie meine Eltern informieren konnten, dass es mir gut geht, bevor die irgendwelche Nachrichten sehen.“ Pantisano hat eine Theorie, warum es den Radweg getroffen haben könnte: „Dort, wo die Halloween-Parade war, und an den meisten Gehwegen gibt es Sperren. Auf dem Radweg konnte der Transporter ungehindert drauffahren“, schildert er. Am Abend sei es in New York zugegangen wie immer, nur sei deutlich mehr Polizei unterwegs gewesen. „Die Straßen und die Metro waren voll. Die Menschen feierten Halloween und wirkten ganz gelassen“, schildert der Stuttgarter.

Scharfmacherei kommt in New York nicht gut an

Die Reaktion der Stadt passte zum Selbstverständnis der New Yorker, jeglicher Scharfmacherei aus Washington und jeder Hysterie angesichts des Terrors zu widerstehen. Noch am Tag vor den Attentaten hatte de Blasio bei einer Wahlkampfveranstaltung zur Bürgermeisterwahl in der kommenden Woche gelobt, New York werde jeglicher Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung von Muslimen oder verschärftem Vorgehen gegen undokumentierte Einwanderer entschieden entgegentreten. In New York, so de Blasio, habe die Rhetorik Donald Trumps keinen Platz.

So fiel die Reaktion der Stadt gemäßigt und ruhig aus. De Blasio und Cuomo sprachen in sachlichem Tonfall zwar eindeutig von einem „Terrorakt“, betonten jedoch, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass es eine breitere Verschwörung gebe. Der Tatort blieb zur Spurensicherung die Nacht über abgesperrt, und die Halloween-Parade wurde von einer verstärkten Polizeipräsenz begleitet. Ansonsten ging jedoch alles in der Stadt seinen gewohnten Gang.

Aufrufe zur Toleranz

Deutlich größer als die Furcht vor weiterem Terror in der Stadt schien die Furcht vor der Reaktion auf das Attentat zu sein. So sagte eine Lehrerin an der Stuyvesant Highschool, die unmittelbar neben dem Radweg am Hudson liegt und die am Nachmittag mehrere Stunden lang abgeriegelt war: „Jedes Mal, wenn ich die Worte ‚Allahu Akbar‘ in Zusammenhang mit einem Terroranschlag höre, bekomme ich Bauschmerzen. Wir haben so viele muslimische Schüler hier, und ich möchte nicht, dass sie für solche Dinge verantwortlich gemacht werden.“ Ähnlich reagierte Linda Sarsour, Tochter palästinensischer Einwanderer und Vorsitzende einer muslimisch-amerikanischen Organisation in Brooklyn. „Dieser verabscheuungswürdige Akt repräsentiert genauso wenig unsere Glaubensgemeinschaft, wie die weißen Suprematisten von Charlottesville den christlichen Glauben repräsentieren“, schrieb sie auf Facebook.