Passanten wunderten sich am Wochenende, warum Bildungsplangegner und ihre Gegner in unmittelbarer Nähe demonstrierten. Die Anmelder der Gegendemo haben ein Recht dazu, in der Nähe derer zu sein, deren Botschaften sie kritisieren.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Beobachtern mag es am Wochenende unlogisch vorgekommen sein: In unmittelbarer Nähe zueinander liefen zwei Demonstrationen in der Stadt, deren Teilnehmer sich alles andere als grün waren. Auf der einen Seite die Gegner des Bildungsplans der grün-roten Landesregierung, auf der anderen eine Gegenkundgebung gegen die „Demo für alle“. Unter den Gegendemonstranten waren Linksautonome, die versuchten, die Bildungsplangegner aufzuhalten, wobei es zu heftigen Rangeleien mit der Polizei kam. Passanten fragten sich, warum die beiden Kundgebungen so nah beieinander waren.

 

Demonstranten haben das Recht, gehört zu werden

Die Anmelder der Gegendemo haben ein Recht dazu, in der Nähe derer zu sein, deren Botschaften sie kritisieren. „Es muss eine gewisse Wahrnehmbarkeit, unter Umständen sogar eine Sichtbeziehung zwischen den beiden Versammlungen bestehen“, erläutert Stefan Praegert, der Leiter der Versammlungsbehörde der Stadt. Grundsätzliche habe jede Versammlung auch das Recht, in der Öffentlichkeit gehört zu werden. Man könne also keinen Platz fern vom Zentrum zuweisen.

Grundsätzlich gilt, dass Demos nicht erlaubt werden müssen – es herrscht Versammlungsfreiheit. Wer eine Kundgebung oder einen Demozug veranstalten will, meldet das zuvor beim Ordnungsamt der Stadt an. Wenn es Bedenken gibt, dass Konflikte entstehen könnten, versucht die Stadt als Versammlungsbehörde gemeinsam mit der Polizei, das in einem sogenannten Kooperationsgespräch mit den Anmeldern zu klären. „Das wird auch angeboten, um Versammlungsleiter über rechtliche Fragen aufzuklären“, fügt Praegert hinzu.

Konflikt bedeutet in diesem Zusammenhang nicht unbedingt, dass man einer Gruppe gegenüberstehen muss, die anderer Meinung ist – wie bei den Gegnern der „Demo für alle“. Es kann auch sein, dass ein Interessenkonflikt besteht. Das bekannteste Beispiel dafür in den zurückliegenden Jahren in Stuttgart sind die Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart 21. Die Stadt hatte vergeblich versucht, den Veranstaltern einen anderen Versammlungsort als die Schillerstraße und den Arnulf-Klett-Platz zuzuweisen. Der Gerichtsstreit darüber ging in die nächsthöhere Instanz – und die Demonstranten bekamen recht: Weil sie gegen den Umbau des Hauptbahnhofes protestieren, muss ihnen ein Versammlungsort mit räumlichem Bezug erlaubt werden, was bei diesem Thema die Nähe zum Bahnhof ist. Ähnlich ist es natürlich auch mit einer Demo gegen die Bildungsplangegner, erläutert Praegert. Wenn diejenigen, gegen deren Botschaft man auf die Straße geht, in der Innenstadt unterwegs sind, muss man dort auch die Gegenveranstaltung zulassen.

Die Teilnehmer müssen sich jedoch an den Ort und die Zeit halten, zu der die Versammlung angemeldet ist. Das hätten die Gegendemonstranten am Wochenende nicht getan. Da ein paar von ihnen darauf aus waren, die „Demo für alle“ zu stören und zu blockieren, hatten sie im Vorfeld versucht, die Demostrecke herauszufinden, was ihnen offenbar nicht gelungen war. Deswegen lagen der Stadt sieben Anmeldungen für Gegendemos an verschiedenen Orten vor. „Die haben sich aber nicht daran gehalten“, sagt Polizeisprecher Olef Petersen. Insgesamt sei es am Sonntag deutlich „gereizter und aggressiver“ zugegangen als bei den acht Bildungsplandemos zuvor. Das ist eine Einschätzung, welche auch gemäßigte Gegendemonstranten abgaben. Die Polizei war mit rund 600 Beamten im Einsatz, um die Gruppen voneinander fernzuhalten. An zwei Punkten gelang es den Gegendemonstranten doch, die Polizeireihen zu durchbrechen und sich der Demo in den Weg zu stellen.

Bei Auseinandersetzungen setzte die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Es gab mehr als 20 Verletzte, darunter sechs Polizisten.