Nach dem tödlichen Angriff in Illerkirchberg sind noch viele Fragen offen. Was war das Motiv des Angreifers? Und warum brachte sich ein Zeuge und zwischenzeitlich Verdächtiger um?

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Kriminalistisch scheint der tödliche Angriff auf zwei Mädchen in Illerkirchberg vor der Aufklärung zu stehen. Aber die Hintergründe sind weiter unklar. Was bisher bekannt ist – und was nicht.

 

Die Tat

Am Morgen des 5. Dezember gegen 7.30 Uhr wird die 14-jährige Ece S. auf dem Schulweg mit Messerstichen getötet. Der Überfall geschieht auf der Straße vor einem Haus, das die Gemeinde Illerkirchberg seit Jahren als Asylunterkunft nutzt. Auch eine 13-Jährige wird in die Brust gestochen, überlebt jedoch. Hauptzeuge ist nach Information unserer Zeitung ein Mann, der in diesem Moment seinen Sohn zur Schule verabschiedet, Schreie hört und versucht, Erste Hilfe zu leisten. Dringend tatverdächtig ist ein Bewohner der Unterkunft, ein 27 Jahre alter Mann aus Eritrea. Man findet ihn in der Unterkunft. Auch er ist schwer verletzt, dem Anschein nach hat er versucht, sich mit dem Tatmesser auch selbst zu töten. In den Wirren der ersten Minuten werden drei Eritreer festgenommen. Zwei von ihnen kommen nach Verhören später auf freien Fuß, sie gelten lediglich als Zeugen. Zur Schülerinnengruppe gehört an dem Morgen noch ein drittes Mädchen. Es ist weit genug vom Angreifer entfernt und entkommt schreiend Richtung Hauptstraße. Die Ulmer Polizei verzichtet auf die Bildung einer Sonderkommission.

Das Motiv

Am Tag nach dem Angriff reist der Innenminister Thomas Strobl nach Illerkirchberg und gibt ein Statement ab. Zuvor hat er sich auf den Stand der Ermittlungen bringen lassen. Es gebe „keinerlei Erkenntnisse auf eine politische oder religiöse Motivation“, so der CDU-Politiker. Daran ändert sich auch bis zum Ende der Woche nichts. Was aber trieb den Angreifer stattdessen? Wenig plausibel erscheint der Versuch einer gewaltsamen Entführung, die dann abgebrochen wurde. Stand der Angreifer unter Drogen? Könnte es sich um einen psychotischen Schub gehandelt haben, um den verrückten Plan einer Selbsttötung, verbunden mit einer letzten, spektakulären Bluttat? Der parteilose Illerkirchberger Bürgermeister Markus Häußler nimmt mit Verweis auf den ehrenamtlichen örtlichen Helferkreis am Mittwoch in einem offenen Brief Stellung: „Nach allem, was wir derzeit wissen, gab es vor der Tat keine Warnzeichen.“ Der 27-Jährige schweigt nach wie vor. Ihm ist vom Gericht ein Pflichtverteidiger zugeordnet worden. Nach einer Notoperation liegt er nun im Gefängniskrankenhaus Hohenasperg. Zwar ist zunächst Haftbefehl wegen Mordes und versuchten Mordes erlassen worden, aber die Frage der Schuldfähigkeit wird noch Gutachter beschäftigen.

Die Reaktionen

Über soziale Medien laufen Petitionen zum „Schutz vor illegaler Einwanderung“ oder weil angeblich „Illerkirchberg überall“ ist. Völkisch gesinnte Zeitgenossen planen einen „Trauermarsch“ in Illerkirchberg. Dinge, die man schon kennt im Zusammenhang mit Kapitalverbrechen, die Flüchtlinge begehen. Aber es gibt auch die Besonnenen, die mahnen, vom Einzelnen nicht aufs Ganze zu schließen. Mittendrin die Betroffenen. Die Familie von Ece gehört zur alevitischen Gemeinde Ulm, am Mittwoch aber kommt es auf dem Friedhof Oberkirchberg zur ersten ökumenischen Beerdigung von Aleviten und Sunniten überhaupt in der Region. Der Tod eines Kindes wird Anlass einer Versöhnung – auch das ist möglich.

Drama nach dem Drama

Noch ein trauriges Ereignis am Donnerstag: Einer der Eritreer, die am Montag kurzzeitig zu den Verdächtigen gehörten, wirft sich im Bahnhof der nahen Grenzstadt Senden gegen 13 Uhr vor einen Güterzug und stirbt. Was den 25-jährigen Mann dazu trieb, ermittelt nun jedoch nicht Ulm, sondern die Staatsanwaltschaft Memmingen. Zuständigkeitshakeleien haben an der Landesgrenze schon manche Ermittlung behindert, etwa in Bezug auf Rockerkriminalität. Ob es einen Abschiedsbrief gibt, eine letzte erklärende Mail oder andere Zeugen, die womöglich auch über Eces Tod etwas sagen könnten, ist derzeit nicht bekannt.