Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben bei einem Gipfeltreffen weitere Maßnahmen gegen Belarus beschlossen. Dazu gehört auch ein Flug- und Landeverbot für belarussische Maschinen in Europa.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Von den Vertretern der EU-Institutionen fand Ursula von der Leyen die deutlichsten Worte: Die Kommissionspräsidentin nannte den Vorfall mit der Ryanair-Maschine eine „Entführung“. Es handele sich um ein „ungeheuerliches und illegales Verhalten des Regimes in Belarus“. Sie drohte mit Konsequenzen: „Die Verantwortlichen müssen bestraft werden.“ Ihr Vize, der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, drückte es in seiner Erklärung, die am Pfingstmontag veröffentlicht wurde, vorsichtiger aus. Borrell nannte den mit Militärgewalt durchgesetzten Zwischenstopp der Ryanair-Maschine in Minsk einen „unzulässigen Schritt“.

 

Die Festnahme des Bloggers Roman Protassewitsch, der in Litauen seit 2019 politisches Asyl hat, sei ein „unverfrorener Versuch der belarussischen Autoritäten, die Opposition zum Schweigen zu bringen“. Borrell griff dem bereits vor längerer Zeit angesetzten Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Montagabend nicht vor, sagte aber: Die EU werde Maßnahmen gegen die Verantwortlichen in Erwägung ziehen.

In einer Erklärung von David McAllister (CDU), Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, wies dieser klar auf den Urheber der Entführung hin: „Die staatliche Nachrichtenagentur Belta hat eingeräumt, dass die gesamte Operation durch den direkten Befehl von Alexander Lukaschenko ausgeführt wurde.“ McAllister sprach von einem „eklatanten Bruch von internationalem Recht“. Das Parlament verurteile zudem auf das Schärfste, dass das Leben von 171 Passagieren an Bord durch die Entführung gefährdet wurde.

Ungeschickte Reaktion der EU-Verkehrskommissarin

Ungeschickt war dagegen die Reaktion von EU-Verkehrskommissarin Adina Valean. Sie twitterte, als die Ryanair-Maschine nach stundenlanger Verzögerung durch die Sicherheitsbehörden am Flughafen in Minsk Richtung Vilnius abgehoben hatte: „Großartige Nachricht für alle, insbesondere die Familien und Freunde der Menschen an Bord.“ Zuvor hatte sie lediglich von einem „beispiellosem Vorgang“ geschrieben. Der Außenpolitik-Experte der Grünen im Europaparlament, Reinhard Bütikofer, fordert ihren Rücktritt: „Sie haben mehr als 14 Stunden gebraucht, um schließlich das Wort Entführung in den Mund zu nehmen: Gehen Sie nach Hause, lassen Sie jemand anderes den Job machen.“

Der Terminkalender der EU wollte es so, dass die Staats- und Regierungschefs am Abend erstmals seit Dezember wieder persönlich zu einem Gipfeltreffen nach Brüssel kamen und dass dabei schon vor längerer Zeit eine „strategische Debatte“ zu Russland auf der Tagesordnung stand. Charles Michel, der Gastgeber des Treffens und ständiger EU-Ratspräsident, bereitete einen Gipfelbeschluss zu Belarus vor, der am Abend von den Chefs diskutiert werden sollte.

Es wird zusätzliche Sanktionen geben

Wie erwartet hat der Gipfel dem EU-Außenbeauftragten Borrell den Auftrag erteilt, den Außenministern zusätzliche Sanktionen gegen Belarus und gegen Verantwortliche der Minsker Regierung vorzuschlagen. Wegen der gefälschten Wahl und der Repressalien gegen die weißrussische Opposition wurden bereits gegen 88 Einzelpersonen und sieben Organisationen in Belarus Einreiseverbote sowie das Sperren von Konten verhängt. Die neuen Sanktionen dürften weitere Personen treffen. Lukaschenko ist bereits betroffen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, die EU werde so lange Druck „auf das Regime“ Lukaschenko ausüben, „bis es die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Medien respektiert“.

Darüber hinaus soll die Internationale Luftfahrtorganisation ICAO, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, den Vorfall dringend eingehend untersuchen und die fälligen Konsequenzen ziehen. Gefordert werden auch Landeverbote für die staatliche belarussische Fluglinie Belavia auf allen EU-Flughäfen sowie ein Belarus-Überflugstopp für alle Flugzeuge aus der EU. Damit konnte sich der direkte Nachbar von Belarus, Litauen, beim Gipfel durchsetzen. Litauen hatte die Maßnahmen im Luftverkehr schon am Mittag beschlossen und die anderen EU-Mitgliedstaaten aufgefordert sich anzuschließen. Ein Stopp des Transitverkehrs per Schiene und Straße steht zunächst nicht zur Diskussion.