Viele der mutmaßlichen Täter in der Berliner Neujahrsnacht haben einen Migrationshintergrund. Ist mangelhafte Integration mit ein Grund für die Gewalt an Silvester? Die Meinungen in der Politik gehen auseinander.

Sport: David Scheu (dsc)

Nein, so richtig überrascht ist Waqas Saleem nicht gewesen von den Gewalttaten in der Neujahrsnacht, die in mehreren Straßen Berlins ein Bild der Verwüstung hinterlassen hatten. „Das ist nicht nur an Silvester ein Problem, sondern gehört eigentlich das ganze Jahr über immer mal wieder zum Alltag hier“, sagt der junge Mann, der gemeinsam mit seinem Vater ein indisches Restaurant in Neukölln betreibt – in jenem Berliner Stadtbezirk, in dem die Randale an Neujahr besonders exzessive Ausmaße angenommen hatten.

 

Saleems Restaurant in einer Seitenstraße unweit der Sonnenallee ist verschont geblieben. Dieses Mal. Vorfälle gibt es aber auch bei ihm immer wieder. Er zeigt durch die Glasscheibe nach draußen auf mehrere Motorroller, mit denen er täglich Essensbestellungen ausliefert: „Die werden ab und zu umgeschmissen. Einfach so.“ Keine Bedrohung für Leib und Leben wie in der Silvesternacht, für Saleem aber doch ein Stück weit symptomatisch für eine grundlegende Problematik. Aus seiner Sicht liegen deren Ursachen auch in einer mangelnden Integration der Täter: „Nach dem, was ich hier täglich sehe und höre, sind es eben sehr oft junge Menschen mit Migrationshintergrund.“

Berliner Tatverdächtige sind überwiegend junge Männer

Die Zahlen zur Silvesternacht in der Hauptstadt bestätigen das. In weiten Teilen zumindest. Von den 145 an Neujahr vorläufig festgenommenen Tatverdächtigen hatten nach Angaben der Berliner Polizei 45 eine deutsche Staatsangehörigkeit, die Mehrzahl von 100 dagegen nicht. Viele von ihnen stammen aus Afghanistan (27) und Syrien (21), neun aus dem Irak. Überwiegend, teilt die Polizei mit, habe es sich dabei um junge Männer gehandelt. Mittlerweile sind sie wieder auf freiem Fuß, vom Tisch ist das Thema damit aber noch lange nicht: Insgesamt 355 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden eingeleitet – und die öffentlichen Diskussionen bestimmen die Ereignisse ohnehin seit Tagen.

Längst hat sich angesichts der Herkunft der Tatverdächtigen eine Debatte über mögliche Integrationsdefizite entwickelt. Insbesondere Politiker der Union verweisen darauf. „Mitten in deutschen Städten wächst ein Milieu heran, das unser Land und unseren Rechtsstaat offen verachtet“, sagt Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, unserer Redaktion. Wird genügend dagegen getan? Nein, findet Throm. Der Bundesregierung und ihrer Integrationsbeauftragten Reem Alabali-Radovan (SPD) wirft er vor, das Thema „totzuschweigen“. Alabali-Radovan hatte zuvor davor gewarnt, die Diskussion auf den ethnischen Hintergrund der Täter zu reduzieren und Migranten unter Generalverdacht zu stellen.

Grünen-Politikerin Mihalic fordert mehr Tempo beim Vollzug

Zur Differenzierung mahnt auch der Psychologe Ahmad Mansour. „Es ist viel zu einfach, nur den Migrationshintergrund als Tatmotiv darzustellen“, sagte der Experte für Extremismus-Prävention dem „WDR“. Bei Gewalttaten wie zuletzt an Silvester handele es sich in erster Linie um ein Jugendphänomen, nicht um ein rein migrantisches Phänomen. Diese Sichtweise teilt auch Irene Mihalic, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag. „Es geht weniger um den Migrationshintergrund an sich“, sagte sie unserer Redaktion, „als vielmehr um junge Männer in Gruppen, die gegenüber anderen Gruppen in der Gesellschaft überproportional gewaltbereit sind.“

Aber: Völlig ausgeblendet werden kann die Sozialisation der Täter laut Mansour auch nicht – etwa mit Blick auf die Frage, ob sie aus autoritären politischen Systemen nach Deutschland gekommen seien und den deutschen Rechtsstaat infolgedessen als schwach wahrnehmen würden.

Neben möglichen Ursachen wird auch intensiv über Konsequenzen diskutiert. Throm fordert ein hartes Durchgreifen bei Straftaten wie in der Neujahrsnacht: „Dagegen muss konsequent vorgegangen werden – nicht nur an Silvester.“ Mihalic sieht hier vor allem in puncto Geschwindigkeit noch Nachbesserungsbedarf, sie fordert einen schnellen Vollzug von Verfahren und Strafen: „Bestehende Vollstreckungsdefizite müssen wir dringend aufarbeiten.“

Bessere Einbeziehung Heranwachsender angestrebt

Darüber hinaus rücken auch Präventionsmaßnahmen zunehmend in den Fokus. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kündigte an, als Reaktion auf die Silvesternacht die Integrationsbemühungen künftig weiter zu intensivieren: Heranwachsende müssten besser und vor allem früher als bislang erreicht werden. Über die Schulsozialarbeit beispielsweise oder soziale Medien. Auch einen zeitnahen Gipfel gegen Jugendgewalt kündigte Giffey an – allerdings ohne Teilnehmer zu nennen.

Restaurantbetreiber Waqas Saleem hofft, dass diese Bemühungen Erfolg haben. „Ich würde mir insgesamt eine noch bessere Integration in Deutschland wünschen. Denn möglich ist das, viele sind ja auch schon gut angekommen hier.“ So wie er selbst, der viele Jahre nach seiner Ankunft aus Pakistan längst heimisch ist in Berlin.