Über den Kopf der Terrorzelle von Barcelona wird immer mehr bekannt – über Pannen der Polizei ebenso. Eine Anfrage der belgischen Kollegen beantworteten die spanischen Ermittler falsch – und das war nicht die einzige Panne.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Barcelona - Die meisten Mitglieder der Terorzelle, die in der vergangenen Woche insgesamt 15 Menschen in Barcelona und Cambrils ermordete, waren junge Marokkaner, die seit langem in der katalanischen Kleinstadt Ripoll lebten, die dort aufgewachsen waren und im allgemeinen keinen Ärger machten. „Diese Jungen waren Jungen wie alle. Sie waren, wie meine Kinder, Söhne von Ripoll“, schrieb eine Sozialarbeiterin aus dem Ort an die katalanische Zeitung La Vanguardia. Dass sie schließlich als mordende Terroristen enden würden, sahen weder die Angehörigen noch die Bekannten noch die Behörden voraus, und nach jetzigem Kenntnisstand kann man niemandem daraus einen Vorwurf machen.

 

Eine Figur aber ragt aus dieser Gruppe heraus: Abdelbaki Es Satty, der Imam, der mutmaßliche intellektuelle Kopf der Bande, der die anderen, jüngeren Mitglieder zum Terror verführt haben soll. Der ihnen „das Gehirn gewaschen“ hat, wie die Leute in Ripoll sagen. Und Es Satty war kein unbeschriebenes Blatt. Aber in keinem Moment seines Lebens sprangen die Alarmglocken an. Erst als schon alles zu spät war.

Satty kam vor 44 oder 45 Jahren im Norden Marokkos zur Welt, nach einem Bericht der Zeitung „El Mundo“ in einem kleinen Dorf namens Bab Taza. Das liegt gut 120 Kilometer südlich der spanischen Nordafrikaexklave Ceuta. Laut „El Mundo“ leben in der Gegend noch El Sattys Frau und neun gemeinsame Kinder. El Satty aber ging im Jahr 2002 nach Spanien. Er zog offenbar nach Katalonien, in den Mittelmeerort Vilanova i la Geltrú, 50 Kilometer westlich von Barcelona. Dort tauchte sein Name erstmals in polizeilichen Ermittlungsakten auf.

Erste Festnahme vor mehr als zehn Jahren

Im Januar 2006 nahm die spanische Polizei in Vilanova i la Geltrú gut ein Dutzend Männer fest, die sie verdächtigte, einer islamistischen Zelle anzugehören, die militante Kämpfer für den Dschihad rekrutierte. Damals waren noch keine zwei Jahre seit den Madrider Attentaten vom 11. März 2004 vergangen, bei denen 191 Menschen starben, und die Antiterrorermittler standen in hoher Alarmbereitschaft. Spaniens Nationaler Gerichtshof verurteilte 2010 fünf der Männer zu Haftstrafen zwischen fünf und neun Jahren; die Urteile wurden allerdings später vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben.

Abdelbaki Es Satty hatte mit dieser Gruppe am Rande zu tun: Man fand Ausweiskopien von ihm in der Wohnung eines der Hauptverdächtigen. Er selbst wurde damals offenbar nicht verdächtigt. An diesem Dienstag veröffentlichten zwei spanische Polizeigewerkschaften, die AUGC der Guardia Civil und die SUP der Nationalpolizei, eine gemeinsame Erklärung, in der sie die mangelnde Zusammenarbeit zwischen spanischer und katalanischer Polizei, den Mossos d’Esquadra, während der vergangenen Tage beklagen. Die ungenügende Kooperation habe unter anderem dazu geführt, dass ihre katalanischen Kollegen nicht gewusst hätten, dass Es Satty „ein Anhänger eines der Hauptverdächtigen“ in Vilanova i la Geltrú gewesen sei.

Nach 2006 macht Es Satty allerdings nicht als Islamist von sich reden, sondern als Drogenhändler. Am 1. Januar 2010 wird er festgenommen und später zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er Haschisch von Ceuta aufs spanische Festland geschmuggelt hatte. Im Gefängnis lernt er einen der Unterstützer der Attentate vom 11. März 2004 kennen. Im April 2014 kommt Es Satty auf freien Fuß. Die spanische Regierung will ihn ausweisen, doch ein Verwaltungsrichter kommt im Februar 2015 zu dem Schluss, dass von El Satty keine Gefahr ausgehe. Er bleibt in Spanien und geht nach Ripoll im Norden Kataloniens, wo er sich als Imam anbietet. Man nimmt ihn.

Spaniens Polizei macht keine Angaben

Keiner fragt nach seinem Vorleben. In der Mosche fällt er nicht weiter auf, er hält keine Hasspredigten. In Ripoll fühlt sich Es Satty aber offenbar nicht wohl. Im Januar 2016 reist er ins belgische Vilvoorde, einen Vorort von Brüssel. Es Satty bietet sich im Nachbarort als Imam an, wird aber abgelehnt, weil er sich weigert, ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Der Bürgermeister von Vilvoorde berichtet spanischen Medien, dass sich die lokale Polizei mit der spanischen Polizei in Verbindung gesetzt habe. Am 8. März 2016 sei die Nachricht aus Spanien gekommen, dass gegen Es Satty nichts vorliege.

Weil er trotzdem keine Anstellung bekommt, kehrt Es Satty nach Ripoll zurück, wo er unauffällig beginnt, junge Männer aus dem Ort für den blutigen Heiligen Krieg zu gewinnen. Drei Mal war Es Satty auffällig geworden: als Bekannter eines mutmaßlichen Dschihadisten, als Drogenhändler, als merkwürdiger Bewerber um einen Posten als Imam in Belgien. Es reichte nicht, um ihn als potenziellen Gefährder zu erkennen.

„Da läuft etwas schief“, sagt Juan Fernández, Sprecher der Guardia-Civil-Gewerkschaft UAGC, am Mittwoch zu dieser Zeitung. Die gemeinsame Erklärung der beiden spanischen Polizeigewerkschaften hat in Spanien viel Staub aufgewirbelt. Das Hauptproblem sei: Die nationalen und die regionalen Polizeien griffen nicht auf eine gemeinsame Datenbank zurück. Dieser Fehler soll nun korrigiert werden.