Das Coronavirus dringt in das alltägliche Leben ein, selbst wenn es nicht krank macht. Unser Redakteur schildert seine persönlichen Eindrücke aus einer Woche häuslicher Quarantäne.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Waiblingen - Eins vorweg: Die Wahrscheinlichkeit, mit dem Coronavirus infiziert worden zu sein, ist in unserem Fall vergleichsweise gering gewesen. Unsere Unterkunft in den Faschingsferien in den italienischen Dolomiten war eine Ferienwohnung in einem abgelegenen Bauernhof mitten im Wald. Unser Kontakt mit anderen Menschen hat sich weitgehend auf den Lift beim Skifahren und Pizzaessen am Abend beschränkt. Hüttenzauber und Aprés-Ski sind nicht so unser Ding.

 

Und dennoch zeigt die darauf folgende einwöchige Quarantäne in den eigenen vier Wänden, wie schnell das Coronavirus Alltagsroutine und Gemüt einer vierköpfigen Familie infizieren kann, ohne im medizinischen Sinn wirksam werden zu müssen – und auch, wie rasant sich die Ausgangslage verändert hat. Eine Chronik, wie sie vermutlich hunderte weitere Familien im ganzen Land erlebt haben.

Es ist schon ein wenig paradox. Da ist man selbst mitten in hektischer Recherche und Berichterstattung zu den Auswirkungen von Corona im Rems-Murr-Kreis, und urplötzlich trifft es einen selbst: Südtirol ist vom Robert-Koch-Institut zum Risikogebiet erklärt worden. Die Firma empfiehlt Home-Office. Panik beschleicht mich – nicht wegen einer mutmaßlichen Infektionsgefahr, sondern weil ich noch so viel zu tun habe – unter anderem den unmittelbar bevorstehenden Wochenenddienst.

Weiten Teilen der Familie ist das am Morgen noch ganz anders erschienen. Die Kinder sind euphorisch: eine Woche keine Schule. Auch ihre Mutter, von Beruf Lehrerin, ist dazu vergattert worden, ihren Unterricht eine Woche lang auszusetzen. Na gut, dann bleiben wir eben eine Woche zusammen daheim.

Im Rems-Murr-Kreis ist die Zahl der infizierten Personen auf vier angestiegen Ein Mann aus Backnang und einer aus Weinstadt sind identifiziert worden – beide hatten zuvor Urlaub in Südtirol gemacht...

Der Wochenenddienst ist geregelt. Die mobile Technik macht das Arbeiten von zuhause aus grundsätzlich möglich, den bereits vereinbarten Außentermin mit Kindern, die in einem Workshop in Schorndorf zu Nachhaltigkeitsbotschaftern ausgebildet werden, hat freundlicherweise ein Kollege übernommen.

Daheim macht sich derweil Galgenhumor breit. Eine Kollegin der Ehefrau schickt Rezeptvorschläge: „Nudeln mit Klopapier“. Ein Blick in den Kühlschrank lässt kurz den Verdacht aufkommen, dass Hamsterkäufe vielleicht doch keine so blöde Idee gewesen wären.

Gesundheitlich geht es uns bestens – oder war da etwa ein leichtes Kratzen im Hals? Was seien eigentlich die Symptome einer Coronavirus-Erkrankung, fragt der große Sohn. Kurzes Schweigen, dann eine wissenschaftlich mindestens zweifelhafte Erläuterung, die sich auf Konsistenz und Aussehen der eigenen Darmausscheidungen bezieht. Worauf sein jüngerer Bruder konstatiert: „Hab ich mir schon lange nicht mehr angeschaut.“ Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Der Wochenenddienst ist natürlich auch von dem Coronavirus beherrscht: Der Rudersberger Bürgermeister Raimon Ahrens meldet sich am Samstag, teilt mit, dass das Schulzentrum entgegen anderer Aussagen am Freitagnachmittag doch noch länger geschlossen bleibt. In Rudersberg war am Dienstag der erste Corona- Fall gemeldet worden. Es gibt weitere Beispiele dafür, wie sich das Virus weiter in das alltägliche Leben einschleicht – da muss ich nicht weit recherchieren.

Am Abend überlege ich kurz, ob ich wie sonst auch Joggen gehen soll. „Ja, warum denn nicht?“, die Ehefrau schüttelt entrüstet den Kopf, „wir sind ja nicht krank – und begegnen wirst du bei dem Wetter sowieso niemandem“.

Die Kollegin im Frühdienst in der Zentrale in Stuttgart-Möhringen gibt bekannt, dass sie heute nur per Handy erreichbar ist. Es stellt sich nicht nur heraus, dass sie südtirol- und homeoffice-technisch das gleiche Schicksal ereilt hat, sie hat offenkundig eine ganz ähnliche Konstellation daheim: Kreischende, pubertierende Kids im Hintergrund, einen Mann als Lehrer, ob seines Schicksals etwas am verzweifeln. Sie wisse noch nicht, wie sie die Woche nervlich überstehen solle, schreibt die Kollegin – fügt aber noch an, dass sie natürlich maßlos übertreibe.

Am Sonntag bestätigt das Landratsamt den bis dahin fünften Corona-Fall im Rems-Murr-Kreis. Eine 70-jährige Frau ist erkrankt. Ihr Ehemann ist offenbar wenige Tage zuvor gestorben. Ob das auf eine Erkrankung mit Covid-19 zurückzuführen war, müsse noch untersucht werden, heißt es. Er wäre das erste Todesopfer der Epidemie in Deutschland.

Am Abend schaut die Familie Fernsehen, eine Nachrichtensendung nach der anderen – wahrscheinlich zum allerersten Mal zusammen mit beiden Kindern.

Ein vorbereiteter Dienst alleine ist die eine Sache. Nun muss das ganze Team wieder zusammenarbeiten – wenn man so will, ferngesteuert. Wir haben es tatsächlich auf die Schnelle geschafft, eine Videokonferenz zu den Kollegen im Waiblinger Büro einzurichten. Wochenplanung für die Zeitung von Angesicht zu Angesicht: Gut, dass die Besetzung wegen Urlaub und Teilzeit keine volle ist, denn alle Personen am Konferenztisch kriegt die Kamera schon so nicht ins Bild. Aber immerhin viel besser, als mit jedem einzeln am Telefon zu sprechen.

Die Konferenz klappt gut, auch der Hund zu meinen Füßen ist nicht bemerkt worden. Als die Besprechung endlich zu Ende ist, stöhnt er allerdings entnervt auf. Seit Samstag hat er sich im Home-Office im türlosen Dachgeschosszimmer fest eingenistet, weicht nicht mehr von der Stelle, scharrt allerdings zu den regulären Gassigang-Zeiten vehement am Hosenbein seines Herrchens. Wir werden das während der regulären Arbeitswoche umstellen müssen, mittags ist Frauchen dran – aber wie sag ich’s meinem Hund?

Später fällt mir ein, dass wir vergessen haben, unsere privaten Termine abzusagen: Sport, Treffen mit Freunden, die Putzfrau...

Derweil klingelt das Handy: Ein Kollege meldet sich krank. Symptome: Fieber und Gliederschmerzen.

Das Landesgesundheitsamt hat indes die Untersuchung der Todesursache jenes Mannes übernommen, dessen Frau wenige Tage nach seinem Tod positiv auf Corona getestet worden war. Das Ergebnis lässt noch auf sich warten. Aus Rudersberg gibt es nach der Prüfung von Verdachtsfällen hingegen Entwarnung.

Ein frisches Brötchen oder eine Brezel wäre jetzt mal etwas Schönes. Aber man kann altes Brot ja auch toasten. Die Ernährung war auch schon aufregender, die Tiefkühltruhe beginnt sich zu lichten.

Bei der morgendlichen Videokonferenz wird mir bewusst, dass nicht nur ich die Kollegen, sondern auch sie mich sehen können. Eine Kollegin spricht mich auf die „schicke“ Holzvertäfelung im Hintergrund an. Ich beschließe, jetzt jeden Tag das Hintergrundbild ein wenig zu verändern. Und mich mal wieder zu rasieren, eine gewisse Verwahrlosung hat sich breit gemacht. Unten hingegen donnert der Staubsauger los. Zum Glück ist die Konferenz gerade beendet.

Das Landratsamt vermeldet einen neuen Infizierten aus unserem eigenen Wohnort. Die Nachbarn, die schon bei unserer Quarantäne-Botschaft automatisch zweit Schritte zurückgetreten sind, werden es Morgen in der Zeitung lesen, und denken, dass wir das sind. Deutschlandweit ist die Zahl der identifizierten Infizierten auf rund 1500 angestiegen. Die Kinder monieren, dass sie endlich auch mal etwas anderes im TV sehen wollen.

Die Schaufensterpuppe, die neu neben meinem Schreibtisch steht, ist nicht zu übersehen und wird in der Videokonferenz goutiert. Inhaltlich beschließen wir, dass die Forderung nach mehr Konsequenz im Handeln, die der Rems-Murr-Landrat Richard Sigel gestern Abend in einem Telefongespräch hat anklingen lassen, unbedingt in die Berichterstattung einfließen soll. Er hält eine generelle Schulschließung bis nach den Sommerferien für ein gebotenes Mittel der Wahl, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. „Und meine Kinder“, sagt eine Kollegin, „kriegen dann viereckige Augen und einen Süßigkeitenschock, weil ich sie neben der Arbeit irgendwie beschäftigen muss“. Der am Hosenbein scharrende Hund ist da doch ein deutlich kleineres Problem. Ohnehin wäre bei mir auch die Ehefrau wieder daheim. Aber auch ich will mir eine Verlängerung der Quarantäne nicht vorstellen.

Die Kinder hingegen spinnen Pläne für das Danach: „Wenn am Wochenende alles vorbei ist, gehen wir dann Pizza essen?“ Zum Italiener...?

Im Rems-Murr-Kreis: werden unterdessen nicht nur weitere fünf neue Fälle gezählt, es hagelt auch Veranstaltungsabsagen. Das Gesundheitsamt hat empfohlen Events zu stornieren, bei denen mehr als 1000 Gäste erwartet werden.

Die kleine Videokonferenz hat noch ihre lustigen Seiten, die Kollegin hat sofort die Perücke entdeckt, die jetzt die Schaufensterpuppe trägt – und befindet, dass sie mir selbst noch besser gestanden hätte. Eine große telefonische Zusammenschaltung mit den Chefredakteuren im Pressehaus hingegen deutet weniger Humoriges an. Es geht vor allem um eigenes Verhalten in Zeiten von Corona. Später reift in mir die Erkenntnis: im Home-Office gibt es keine Privatsphäre. Ein Kollege ruft an, klagt über technische Probleme. Ich versuche, sie von der Toilette aus zu beheben.

Mittlerweile gibt es Gewissheit: der erste Corona-Todesfall in Baden-Württemberg hat sich in Remshalden ereignet. Im Rems-Murr-Kreis gibt es jetzt 22 Infizierte, im ganzen Land ist die Zahl auf 2400 angewachsen.

Der Arbeitstag fängt gut an, die Perücke auf meinem Kopf verfehlt ihre Wirkung nicht. Andere Zeichen hingegen deuten nichts Gutes an: Die Schule hat Zugänge zu Bildungsservern verschickt und empfiehlt nicht nur meinen Söhnen, ein schuleigenes E-Mail-Postfach zu aktivieren. Heute Mittag soll verkündet werden, ob es generelle Schulschließungen geben wird.

Dabei läuft heute Abend unsere Quarantäne-Zeit endlich aus. Wir freuen uns regelrecht, endlich wieder einkaufen zu können. Der jüngere Sohn hat gestern schon unmissverständlich angekündigt: „heute Abend bin ich dann erst mal weg“. Wir einigen uns darauf, dass er sich mit einem Freund im Ort treffen darf.

Parallel bricht das öffentliche Leben quasi zusammen. Der Ministerpräsident verkündet die Schulschließung. In unser Redaktionsfach hagelt es Veranstaltungsabsagen. Die Rathäuser schränken den Publikumsverkehr drastisch ein oder machen die Tore ganz zu. Der eigene Arbeitgeber gibt die Direktive an die Führungskräfte heraus, den Arbeitsalltag so zu regeln, dass es zu möglichst wenigen Kontakten kommt. So viel Home-Office wie möglich, lautet die Direktive.

Unser großer Sohn, der mitten in den Abiturvorbereitungen steckt, erinnert sich an eine Aussage, die sein Geschichtslehrer schon vor einer Woche gemacht hat: Aus seiner fachlichen Sicht sei es höchst spannend, wie das Coronavirus die Gesellschaft verändert.