Der Komponist Hans Zender, der mit 82 Jahren in Meersburg gestorben ist, brachte Musik und Philosophie, Sinn und Sinnlichkeit zusammen. Für das SWR-Vokalensemble hat er seine vielleicht schönsten Stücke geschrieben.

Stuttgart - Was ist die Gegenwart ohne die Vergangenheit? Hans Zender, der Komponist, Essayist, Dirigent und Philosoph, hat sein ganzes künstlerisches Leben lang nicht nur den harmonischen Raum mit feinsten Mikro-Intervallen erweitert, sondern außerdem das Gestern gleichsam als Widerstand ins Heute zu transportieren versucht – besonders eindrucksvoll in jener „komponierten Interpretation“, die in am 1. März auch an der Staatsoper Stuttgart zu erleben ist. Dann wird Matthias Klink Schuberts „Winterreise“ so singen, wie Hans Zender sie sah: als Horrortrip in die Seele eines Menschen, der nicht nur fremd in die Welt einzog, sondern noch fremder aus ihr hinauszieht, als Blick auf eine ehedem romantische Trümmerlandschaft. Die Blätter des Lindenbaums sind abgefallen, das abschließende Lied vom Leiermann endet mit einer unendlich langen Tontraube, einem Cluster.

 

Zender, 1936 in Wiesbaden geboren und am Dienstag in Meersburg gestorben, war zwölf Jahre lang Kompositionsprofessor in Frankfurt, außerdem Chefdirigent in Kiel, Saarbrücken, Hamburg und ständiger Gastdirigent beim SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. Mit dem SWR-Vokalensemble Stuttgart verband ihn eine lange, gemeinsame Geschichte, die mit der Uraufführung seines großen Hohelied-Zyklus „Shir Hashirim“ in den späten 90er Jahren begann: ein wegen seiner differenzierten Mikrotonalität hochvirtuoses, dabei ungemein expressives, ja sinnliches Werk. Auch Zenders „Logos-Fragmente“ hat der Stuttgarter Chor 2007 in Donaueschingen uraufgeführt, ein Stück, das von kleingliedrigen Wechsel der Zeitmaße, Sprachen (Deutsch, Altgriechisch, Latein) und Artikulationsformen lebt. „Die Sinne denken“ ist der sprechende Titel eines der Bücher, in dem der Denker Hans Zender Musik und (oft von der japanischen Kultur inspirierten) Philosophie, Gefühl und Geist zusammenbrachte, immer getragen vom tiefen Ernst und einem politischen Impetus: nämlich, „dem Menschen wieder zu einem schöpferischen Gebrauch seiner Sinne zu verhelfen“. Ein Großer ist gestorben.