Er war der politische Kabarettist schlechthin. Nun ist Dieter Hildebrandt mit 86 Jahren seinem Krebsleiden in München erlegen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

München - Jetzt haben sie ihn endlich los. Wie oft wollte man Dieter Hildebrandt den Mund verbieten, ihn absetzen, rauswerfen, zum Schweigen bringen. Wenn er in der ZDF-Reihe „Notizen aus der Provinz“ seine Pointen verbreitete, protestierte die CSU – bis Hildebrandt endlich eine Sendepause verordnet wurde. Als er die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl kommentierte mit Sätzen wie „Vor Jahrzehnten hat man schon gesagt: Die Russen kommen. Jetzt sind sie da“ – drehte ihm der Bayerische Rundfunk kurzerhand den Saft ab. Dieser linke Schmutzfink hatte viele Feinde. Er solle doch rüber in die DDR gehen, bekam er oft zu hören. „Wie denn“, konterte Hildebrandt, „bei dem Gegenverkehr.“

 

Dieter Hildebrandt ist gestorben, das „wache Gewissen der Nation“, wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ihn nannte. Schon im Sommer soll er die Diagnose Prostatakrebs erhalten haben. Aber der 86-Jährige hat sich nie leicht unterkriegen lassen – und wollte auch vor der Krankheit nicht kapitulieren. Auf seiner Homepage hat Hildebrandt noch voller Zuversicht eine Zeichnung veröffentlicht, die ihn lachend vor einem Krankenhaus zeigt. „Ich muss mal . . .“, heißt es in der Sprechblase, „. . . zur Reparatur.“

Ihm war es bierernst war mit der Kritik an Mächtigen

Mit Dieter Hildebrandt ist nicht einfach einer gestorben, dessen Passion es war, Politiker abzuwatschen, Hiebe zu verteilen, Häme zu vergießen. Hildebrandt war Deutschlands prominentester Kabarettist, er war der Inbegriff des politischen Kabaretts schlechthin, er war einer, dem es bierernst war mit der Kritik an Mächtigen und Machtmissbrauchern, allen voran an Franz Josef Strauß, welcher ihm „politische Giftmischerei“ vorwarf.

Dieter Hildebrandt ist Mitbegründer und langjähriges Mitglied der „Lach- und Schießgesellschaft“, diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 1967. Foto: dpa
Helmut Kohl hielt er für den ersten Kanzler, der „zu uns passt“. „Helmut Schmidt hat den Oberlehrer gespielt, Helmut Kohl den Hausmeister.“ Er machte sich über Boris Becker, den „Aufschlagneurotiker“, lustig und mokierte sich über die DDR, den „Egon und sein ZK – Zitterkombinat“.

Die großen Zeiten des deutschen Kabaretts sind mit dem Namen Hildebrandt verbunden. Er hat 1956 die legendäre Münchner Lach- und Schießgesellschaft mitbegründet. Er trat in den siebziger Jahren in „Notizen aus der Provinz“ auf und war mehr als zwanzig Jahre in der ARD in der Kabarettsendung „Scheibenwischer“ zu sehen. Hildebrandt gehörte so verlässlich zum deutschen Fernsehen wie Wim Thoelke oder Hanns Joachim Friedrichs.

Der langsame Abschied vom Erfolg

Es fiel Hildebrandt nicht leicht, sich vom Erfolg zu verabschieden. Er kommentierte es zwar stets selbstironisch, aber es kränkte ihn, dass die jungen Journalisten vor dem Interview fragten, wie er heiße – „und den Namen dann doch falsch schrieben“. Überhaupt: die Journalisten. An ihnen hat sich Hildebrandt zeitlebens abgearbeitet. Er konnte selbst hieb- und stichsicher austeilen, aber nicht halb so gut einstecken. Es hat ihn hart getroffen, wenn ihn einer als „Ajatollah Chomeini des Kabaretts“ bezeichnete oder ihm vorwarf, dass er nur Schwarz und Weiß kenne. In den vergangenen Jahren ließen die Attacken nach, aber jetzt hatte er den Eindruck, dass die Kritiker ihn mit einem anderen verwechselten. „Und die jungen Kritiker nehmen mich überhaupt nicht mehr wahr.“

Die Kluft zwischen Kabarett und Comedy

Offensichtlich interessiert sich diese neue Generation vielleicht noch für Politik, aber sicher nicht mehr für klassisches politisches Kabarett. Es werde zum „Minderheitenprogramm“, quittierte Hildebrandt bitter. Er spürte immer deutlicher die Kluft zwischen den Generationen, zwischen Kabarett und Comedy, zwischen geistreicher Unterhaltung und Programmen, bei denen der Unterhaltungswert steige, „je mehr die anderen Leute in der Scheiße stecken“.

In einer Nummer über eine Lachfakultät, bei der man sich zum „Diplom-Zuschauer“ ausbilden lassen könne, hat Hildebrandt auch die Zuschauer karikiert – und unterschied zwischen „gemeinem Studiojubel“, „Spontankreischern, die Sie bei den Comedys hören“ und „grundlos lachen und das zwei Stunden lang“. Er habe an sich nichts gegen Comedy, sagte Hildebrandt. „Aber gut und schlecht kann man unterscheiden.“

Pausen „um das Gerüst auszuruhen“

Gut, das stand für Hildebrandt außer Frage, war das Kritische, waren die scharfzüngigen Analysen von Politik und Gesellschaft. Er aktualisierte bei seinen Soloauftritten quasi täglich die Nummern. Auch in den vergangenen Jahren ist Dieter Hildebrandt noch ganz klassisch getingelt, war mit seinen Soloprogrammen mehrere Monate auf Tournee und gönnte sich daheim bei seiner Frau in München-Waldperlach nur Pausen, „um das Gerüst auszuruhen“. 2014 hätte es so weitergehen sollen wie in all den Jahren. Bis Ende März war er bereits ausgebucht: Duisburg, Bocholt, München, Feucht, Nürnberg, Trudering.

„Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zielen. . . dem lieben Gott zum Hals heraus“ – ist einer von Hildebrandts unzähligen Sätzen, bei denen stets Selbstironie mitklang. Er wollte schließlich selbst hoch hinaus. Ihn, der in Schlesien auf dem Land groß geworden war, drängte es ins Rampenlicht. Er, der von einem Bauernhof kam, machte das Abitur, studierte Theaterwissenschaften und Literatur in München. Am Münchner Residenztheater legte er die Prüfung der Schauspieler-Genossenschaft ab. Das war vor sechzig Jahren.

Hildebrandt war Platzanweiser im ersten Nachkriegskabarett

Die eigentlichen Weichen aber stellten sich für Hildebrandt durch einen Studentenjob: Er war Platzanweiser in der „Kleinen Freiheit“, dem ersten, sehr erfolgreichen Nachkriegskabarett von Trude Kolman. Hier lernte er Erich Kästner kennen und sein großes Vorbild Werner Finck. 1955 gründete Hildebrandt mit Studienkollegen schließlich ein eigenes Studentenkabarett: „Die Namenlosen“.

Mehr als fünfzig Jahre hat Dieter Hildebrandt Texte geschrieben – und trotzdem sind ihm nie die Pointen ausgegangen. „Witze sind da wie Steine“, erzählte er vor seinem letzten großen Auftritt im Stuttgarter Renitenztheater, „die findet man auf der Straße“. Wobei er seine Themen vor allem bei der täglichen Zeitungslektüre fand und bei den Fernsehnachrichten. Während der Comedynachwuchs heute vor allem um den Geschlechterkrieg kreist und sich mit Hingabe dem schwierigen Miteinander von Frau und Mann mit oder ohne Kind widmet, hat Hildebrandt sich immer dem aktuellen Zeitgeschehen verschrieben und den Auswüchsen der Tagespolitik. Er war eben auch ein Mahner, einer, der dieses Land besser machen wollte und für den Demokratie und Frieden nicht selbstverständlich waren. Er war als 16-Jähriger Flakhelfer – und überlebte nur knapp.

Etwas spröde vor der Kamera

Manche sahen in Dietrich Hildebrandt nur den Sozi, weil er aus seiner Sympathie für die SPD nie ein Hehl machte und mit ihr „mitlitt“. Er war kein Charakterkopf, sondern wirkte vor der Kamera oft etwas spröde, war im Privaten aber ein sehr feiner Herr von der alten Schule, eloquent, gebildet, höflich und mit besten Manieren. Er ging oft und gern ins Fußballstadion und ins Theater. Vor allem aber hat er bis zuletzt passioniert geschrieben – ob Bücher oder für die Bühne. Einer seiner letzten Texte klingt wie eine Vorahnung: „Beim Überfliegen der vorgemerkten Tagestätigkeiten stockte ich: Bank. Notar. Urologe. Friedhof. Es erschien mir zu folgerichtig.“