Margaret Thatcher wird heutzutage von den Briten milder beurteilt als in ihrer Regierungszeit. Sie hat die Insel geprägt wie keiner vor oder nach ihr seit 1945.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - An schmückenden Namen hat es ihr zu Lebzeiten nie gefehlt. Die Eiserne Lady nannte sie die ganze Welt. Als Nanny der Nation, als Gouvernante kannten sie ihre Anhänger. Für ausgesprochene Patrioten war sie Britannia, die Beherrscherin der Meere. Die wehrhafte Schutzgöttin, die keinen Fingerbreit britischen Bodens an Fremde abtreten würde (jedenfalls nicht, solange die Einheimischen weißer Hautfarbe waren, wie im Falle der Falklandinseln). Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand sagte ihr ja einmal, halb verzückt und halb erschrocken, „die Augen Caligulas und den Mund Marilyn Monroes“ nach. Margaret Hilda Thatcher, die gestern als Baronin Thatcher 87-jährig verstarb, weckte überall heftige Gefühle. Dabei hatte die Politikerin, die von 1979 bis 1990 als Tory-Premierministerin die Geschicke ihres Landes bestimmte, gar nichts dagegen, dass die Boulevardpresse sie einfach „Maggie“ nannte. „Das klingt doch ganz anheimelnd“, sagte sie. „Und passt besser in kurze Überschriften.“

 

Drei Wahlen gewann sie, 1979, 1983 und 1987. Die achtziger Jahre wurden ihr Jahrzehnt. So gut sie konnte, modelte sie die britische Gesellschaft um. Das Wörtchen Thatcherismus signalisiert den Respekt, den man dem Umfang dieser Umbrüche, ihrer „Naturgewalt“, zusprach.

Was der Quell ihres Denkens war, daraus machte die Krämerstochter aus dem nordenglischen Grantham kein Geheimnis. Eine strenge Hand und protestantisches Arbeitsethos standen an erster Stelle ihres Wertekatalogs. Frömmigkeit, haushälterische Tugenden, unabhängiges Wirtschaften und Patriotismus gehörten dazu. „Ehrlicher Lohn für ehrliche Arbeit“, beschrieb sie einmal, was sie im Elternhaus gelernt hatte. „Lebe nicht über deine Verhältnisse. Lege für schlechte Zeiten was auf die hohe Kante. Bezahle beizeiten deine Rechnungen. Und unterstütze die Polizei.“

Sie führte einen Kreuzzug für einen modernen Kapitalismus mit neoviktorianischem Überbau. Einem eisernen Willen und härtester Arbeit (freilich auch dem Vermögen ihres Gatten Denis) verdankte die Mutter von Zwillingen ihren politischen Durchbruch. Ihre Nächte waren kurz, ihr Arbeitspensum enorm. Wie die Arbeitslosen, deren Zahl sich unter ihrer Regierung rasch mehrte, „das ohne alle Arbeit aushalten“ konnten, ist ihr zeitlebens ein Rätsel geblieben. Sie machte lieber Politik und suchte im Streit mit Linken und Liberalen Entspannung – und später in der Konfrontation mit dem „Ostblock“, an der Seite des US-Präsidenten Ronald Reagan.

Respekt hat sie sich in der britischen Politik als weiblicher Eindringling in die Männerdomäne erst verschaffen müssen. Das mag zum Teil erklären, warum sie sich die Rüstung der Eisernen Lady übergestreift hat oder hat überstreifen lassen. „Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau bis ganz oben kommen könnte“, sagte sie später.

Spott begleitete ihren Aufstieg. Das sollte sich allerdings schnell ändern, als sie erst mal in No. 10 Downing Street einzog und ihre Ministerrunde und ihre Mitarbeiter – fast alles Männer – im scharfen Stil der Gouvernante zur Ordnung rief. Gelegentlich klagten Feministinnen wie Germaine Greer darüber, dass Thatcher „hinter ihren Perlen immun gegen die Folgen ihrer Brutalität“ gewesen sei: „Hätte ein Mann versucht, dasselbe zu tun wie Thatcher, hätte man es ihm nie durchgehen lassen.“

Inzwischen ist man mit solchen Urteilen vorsichtiger. Die jüngsten radikalen Beschneidungen des Sozialstaats durch Thatchers „Enkel“ David Cameron gehen weiter als die Lady zu gehen wagte. Dennoch hat Thatcher ihre Mission damals als „konservative Revolution“ verstanden. Wobei sie gar nicht sonderlich konservativ war. Mit der Altherrenriege im Lande, dem Adel, den Kirchenfürsten, den ehrwürdigen Universitäten oder der BBC verband sie wenig.

Revolutionär waren ihre Parteinahme für Unternehmer und die besitzende Klasse sowie ihre Verachtung der Gewerkschaften respektive der „alten Arbeiterschaft“. „Die Grenzen des Sozialismus zurückdrängen“ wollte die Tory-Regierungschefin. Die Entfesselung der Märkte, der Verkauf von Sozialwohnungen an deren Bewohner, die große Privatisierungskampagne ihrer zweiten Amtszeit veränderten das Gesicht Britanniens. Die geschichtsträchtige Niederwerfung der Bergarbeiter nach einjähriger gigantischer Schlacht um die Gruben und der „Big Bang“, die Öffnung der Londoner City für globale Geldflüsse, waren Höhepunkte des Thatcherismus. Der Hass weiter Schichten in der nordenglischen und schottischen Bevölkerung ist ihr seither gewiss.

Sie habe, seufzte ihr Außenminister Francis Pym einmal, „andere Meinungen einfach nicht ertragen“ können. „Wir lassen uns“, verkündete sie schon früh und kategorisch, „von unserem Kurs nicht abbringen.“ Das stimmte nur offiziell. Bei aller nationalistischen Rhetorik hat sie auch britische Traditionsunternehmen in ausländische Hand übergehen lassen und Großbritannien immer weiter in die Strukturen der EU hinein geführt.

Als der Widerspruch zwischen dieser Politik und ihrer Anti-Europa-Rhetorik („No! No! No!“) allzu deutlich wurde, war sie Ende der achtziger Jahre auch am Ende ihrer Zeit angekommen. Dass sie zuletzt die Kommunalsteuern durch eine „Poll tax“ zu ersetzen suchte, unter der jedermann in England, vom Grafen bis zum Müllmann, den gleichen Satz bezahlen sollte, war auch ihren letzten Gefolgsleuten im Kabinett zu viel. Sie zwangen sie zum Abgang. Unter Tränen musste sie im November 1990 den Regierungssitz verlassen.

Ihren Nachfolger John Major hielt sie für nutzlos. Als Tony Blair die Regierung übernahm, war sie damit gar nicht so unzufrieden. Sie tröstete sich damit, dass sie einen neuen „politischen Konsensus“ geschaffen hatte, dem sich auch Labour nicht mehr entziehen konnte. Blair privatisierte eifrig weiter und suchte sich das große Geld zum Freund zu machen. Thatcher hatte „die Torpfosten“ so weit nach rechts gerückt, dass von links her kaum noch etwas zu machen war.

Wie stark Thatcher das Land geprägt hat, wie sehr die Eiserne Lady ihre Landsleute bis jetzt noch immer beschäftigt, hat sich daran gezeigt, dass sie auch knapp ein Vierteljahrhundert seit ihrem Abschied von No. 10 nie wirklich in Vergessenheit geriet. Man hat ihre Abwesenheit von der politischen Bühne stets gespürt, hat ihre fortschreitende geistige Umnachtung bedauert und vom Tod ihres Mannes Denis im Jahr 2003 Notiz genommen. Meryl Streeps Thatcher-Film hat sie vor anderthalb Jahren noch einmal auf der großen Landwand gegenwärtig gemacht. Die Cameron-Regierung aber hat ihre Politik fortzusetzen versucht, ohne sich allzu sehr auf sie zu berufen. Nun, nach ihrem Tod, soll sie ein „zeremonielles“ Begräbnis „mit militärischen Ehren“ erhalten. Das ist fast das gleiche wie ein Staatsbegräbnis. Es soll nur den Unmut derer mildern, die ihren Frieden mit Thatcher noch nicht gemacht haben.