Sein Tod im Alter von 66 Jahren löst Bestürzung in Italien aus. Marchionne, lange Zeit Chef von Fiat-Chrysler, stand für die Fähigkeiten und Kreativität Italiens. Die Rettung des damals vor der Pleite stehenden Fiat-Konzerns gilt als seine größte Tat.

Turin - Sergio Marchionne wollte nach wenigen Tagen zurück sein. Als er Ende Juni nach Zürich flog, um sich im dortigen „Universitätsspital“ einer Schulteroperation zu unterziehen, sah noch alles nach Routine aus. Doch es kam zu Komplikationen. Der Fiat-Chrysler-Chef fiel ins Koma und wachte nicht mehr auf. Vermutlich Lungenkrebs, heißt es. Nun ist Sergio Marchionne im Alter von 66 Jahren gestorben.

 

Für Aufsichtsratschef John Elkann ist es „der Mann, der Fiat-Chrysler (FCA) revolutioniert hat, und ein Freund“, der gegangen ist. In einem Brief, der schon wie ein Nachruf klang, hatte sich der junge Vertreter der Familie Agnelli, die Fiat beziehungsweise FCA von jeher kontrolliert, schon vor Tagen an die Beschäftigten gewandt und sie gebeten, den neuen FCA-Chef Mike Manley zu unterstützen. Der Brite war am Samstag bei einer kurzfristig einberufenen Aufsichtsratssitzung in Turin zu Marchionnes Nachfolger berufen worden.

Marchionnes Tod kam also nicht überraschend. Dennoch trifft er das Unternehmen und Italien tief. Staatspräsident Sergio Mattarella und Premierminister Giuseppe Conte kondolierten im Namen der Regierung. Für Mattarella hat Marchionne der Welt gezeigt, „welche Fähigkeiten und welche Kreativität in der Industrie unseres Landes stecken“.

Seine Art galt als unkonventionell und kompromisslos

Ohne den langjährigen FCA-Chef gäbe es das Unternehmen gar nicht mehr. Mit seiner skurrilen und knorrigen, oft unkonventionellen und kompromisslosen Art, seiner großen Kompetenz und seinem Charisma hat er den Konzern geprägt wie vermutlich kein anderer seit dem legendären Giovanni Agnelli. Er hat sich angelegt mit den Gewerkschaften und ihnen Zugeständnisse abgepresst, aber er hat sein Wort gehalten und die Beschäftigung in Italien erhalten.

Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt am 26. Juni in Rom, als er den Carabinieri einen Jeep Wrangler übergab, erinnerte Marchionne an seine Herkunft: Er ist der Sohn eines Polizeibeamten aus den Abruzzen, der im Alter von 14 Jahren mit seinen Eltern nach Kanada auswanderte. Der schüchterne Bub studierte dort Philosophie, Wirtschaft und Jura und erwarb einen Master in Business Administration. Seine Karriere begann er bei der Schweizer Aluminiumfirma Alusuisse. Später stand er an der Spitze des Genfer Prüfkonzerns SGS. Dort wurde Aktionär Umberto Agnelli auf ihn aufmerksam und holte Marchionne zu Fiat – ein Himmelfahrtskommando.

Die Rettung des damals vor der Pleite stehenden Fiat-Konzerns gilt als seine größte Tat. Der Mann, dessen Markenzeichen ein schwarzer Cashmere-Pullover war, galt als begnadeter Verhandler, aber auch als Autokrat. „Führung ist keine Anarchie. Wer in einem großen Konzern Chef ist, ist allein. Geteilte Verantwortung gibt es nicht. Ich fühle mich manchmal sehr einsam“, sagte er einmal.

Ein Highlight war die Übernahme von Chrysler

Marchionne hinterlässt zwei Söhne aus der ersten Ehe, die ihn zusammen mit seiner Lebensgefährtin Manuela in seinen letzten Stunden begleiteten. Er liebte Espresso, möglicht stark, hat bis vor einem Jahr, und zwischendurch versteckt, intensiv geraucht, spielte gern Poker und schätzte gutes Essen. Und er war sehr vermögend. Berichten zufolge belief sich allein sein Aktienkapital auf 570 Millionen Euro.

Während seiner Amtszeit hat sich der Börsenkurs des Autobauers verzehnfacht. Ferrari und CNH wurden ausgegliedert und höchst erfolgreich an die Börse gebracht. Fiat-Chrysler schreibt wieder hohe Gewinne, auch wenn das Unternehmen gerade an seinem Todestag eine Gewinnwarnung vornehmen musste. Legendär war, wie Marchionne General Motors (GM) 2004 gut 1,5 Milliarden Euro abpresste. Fiat und GM waren über eine 20-prozentige Beteiligung sowie eine umstrittene Put-Option, die GM zum Kauf der restlichen 80 Prozent der Fiat-Anteile zu einem bestimmten Preis verpflichtet hätte. GM kaufte sich mit den 1,5 Milliarden Euro schließlich frei. Ein weiteres Highlight war die Übernahme von Chrysler – für nur 900 Millionen Euro. Dass Marchionne die Schulden gegenüber den Lieferanten bis zur Jahresmitte vollständig abgebaut hatte, feierte er am 1. Juni beim Capital Markets Day auf spezielle Weise: Er öffnete seine schwarze Cashmere-Jacke und darunter kam eine blaue Krawatte zum Vorschein. Dass er erstmals seit zehn Jahren einen Binder angelegt hatte, wobei er nach eigenem Bekunden Schwierigkeiten hatte, den Knoten zu binden, hatte eine besondere Bewandtnis: Er löste damit ein Versprechen ein.

Die Probleme von Fiat Chrysler sind groß

Doch Marchionne hinterlässt seinem Nachfolger Manley auch ein schwieriges Erbe. Die Modellpalette ist veraltet, bei alternativen Antrieben fährt FCA den Konkurrenten weit hinterher, und ob die Strategie aufgeht, mit Premiumfahrzeugen der Marken Maserati und Alfa Romeo den deutschen Anbietern auf den Pelz zu rücken, ist mehr als fraglich. Die Marke Fiat ist nicht mehr auf allen Weltmärkten vertreten. Der drohende Handelskrieg mit den USA könnte die Traditionsmarke weiter schwächen.

Die Pläne von FCA kosten viel Geld. Ohne einen Partner wird es wohl nicht gehen. Denkbar sind etwa die koreanische Hyundai oder der chinesische Volvo-Eigner Geely, die Interesse bekundet haben. Marchionne selbst wusste um die Schwächen. Er versuchte, eine Allianz mit General Motors zu schmieden. Diese Aufgabe muss Marchionne, der Anfang 2019 bei FCA ausscheiden, bei Ferrari aber das Steuer in der Hand behalten wollte, nun seinem Nachfolger hinterlassen.