Sie haben die besten Absichten. Wollen Kultur und Konzerte veranstalten in ihrem Club Erster Stock. Alle finden das gut, doch es geht trotzdem nicht: es gibt keine Konzession – warum?

Es war ein Irrtum mit Folgen. Die Polizei stapfte die engen Treppen hoch in dem Haus an der Steinstraße 13. Und fand sich unvermittelt im Ersten Stock, einem Club, den Anna Ross und Saeed Kakavand übernommen hatten, kurz bevor Corona sich auf die Reise um die Welt machte. Endlich durften Ross und Kakavand den Laden so betreiben, wie sie wollten, ohne Masken, ohne Beschränkungen, mit DJs, die auflegten, lokalen Bands und Musikern, mit Ausstellungen, mit Gästen, die trinken und tanzen konnten. Doch plötzlich stand die Polizei da.

 

Eine versehentliche Kontrolle

Eigentlich wollten sie zu den Nachbarn, die Geld verdienen mit Nacktheit und Pornografie. Und hatten sich im Hausflur geirrt. Wo sie mal da waren, ließen sie sich die Konzession zeigen. Die, die Kakavand und Ross mit dem Club von den Vorgängern übernommen hatten. Im Ersten Stock wird schon seit mehr als 20 Jahren Musik gemacht und gefeiert. Die Konzession liegt unter der Bar, ein Griff, ein Blick – und plötzlich war das Konzept hinfällig. Der Erste Stock hat nur eine Barkonzession. Was 20 Jahre lang niemand wusste und interessierte. Das heißt, Musik darf nur im Hintergrund laufen, getanzt werden darf nicht, bis zu zwölf Veranstaltungen kann man sich einzeln genehmigen lassen.

Ein Tiefschlag

„Wir hatten während Corona so gekämpft, dass der Laden nicht ganz untergeht“, erinnert sich Anna Ross, „und jetzt war auf einen Schlag alles hinfällig, das hat uns erst mal den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Und völlig überraschend. Denn Beschwerden habe es keine gegeben. Um ihr Konzept mit regelmäßigen Veranstaltungen umzusetzen, brauchen sie eine Clubkonzession. Clubs gelten wie Bordelle und Wettbüros als Vergnügungsstätten.

Und an Vergnügungsstätten stellt der Gesetzgeber ganz andere Anforderungen an Rettungswege und Belüftung. Die entsprechend teuer sind. Und für Kakavand und Ross nicht bezahlbar. Zumal sie maximal 200 Menschen in ihre Bar bekommen. Für Nachtmanager Nils Runge ist dies ein grundsätzliches Problem. „Wie gehen wir mit diesen Orten um?“, sagt er, sie fallen durchs Raster, „Wir haben nichts, was auf diese Mischkonzepte passt.“ Bar? Club? Livebühne? Ausstellungsort? Die Grenzen sind fließend. „Die Konzessionen passen dazu nicht, es bräuchte neue Formen, die der Zeit angemessen sind“, sagt Runge.

Der Bundestag debattiert

Das Problem ist erkannt. Und auch im Bundestag debattiert worden. Clubs und Livespielstätten mit nachweisbarem kulturellem Bezug sollen nicht mehr als Vergnügungsstätten gelten. Tatsächlich hat der Bundestag am 7. Mai 2021 die Regierung dazu aufgefordert, die Baunutzungsverordnung zugunsten von Clubs und Livespielstätten zu überarbeiten. Doch die Mühlen mahlen langsam. Selbst wenn im Koalitionsvertrag des Landes CDU und Grüne diese Anpassung umsetzen wollen. Geschehen ist noch nichts, was auf kommunaler Ebene angekommen ist.

Ähnlich sieht es mit dem sogenannten Agent-of-Change-Prinzip aus. Wie unschwer zu erkennen ist, stammt dieses aus dem Angelsächsischen. In Städten in England und den USA sind Bauherren dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die von ihnen neu gebauten Häuser und Wohnungen nicht durch vorhandene Kulturstätten, Clubs oder Kneipen gestört werden. Das heißt, anders als in Deutschland müssen dort die Bauherren für Lärmschutz sorgen. Nicht die Clubs. Typisch deutsch nennt man das „Experimentierklausel in der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“. Am 6. Dezember hat der Bundesrat der Einführung dieser Klausel zugestimmt. Auch sie wurde noch nicht umgesetzt.

Was kann die Stadt tun?

In nächster Nähe zum Ersten Stock wird ja derzeit gebaut. Wo einst der Horten stand, entsteht an der Eberhardstraße das Projekt Vier Giebel. Dort werden Menschen in Mietwohnungen einziehen. Und nachts ihre Ruhe wollen. Worauf sie ihr Recht haben. Von 22 Uhr an darf einen halben Meter vor dem offenen Schlafzimmerfenster nur ein Lärm von 45 Dezibel gemessen werden. Das ist die Lautstärke eines Gesprächs.

Es gibt Ausnahmen. Und sie sind vonnöten, wenn man will, dass Menschen in der Innenstadt wohnen. Und es dort Flächen wie den Ersten Stock gibt, wo man experimentieren will, ausloten möchte, wie Urbanität aussehen könnte, wo man jungen Künstlern die Chance gibt, sich zu zeigen. „Wir brauchen den politischen Willen, um die rechtlichen Möglichkeiten an die Hand zu bekommen“, sagt Runge. Immerhin, OB Frank Nopper war schon mal da, hat sich die Probleme erklären lassen. Doch sind der Stadt durch die Rechtslage die Hände gebunden. Sie kann nur beide Augen zudrücken. Aber das geht seit der Polizeikontrolle nicht mehr. Runge kämpft dafür, dass die Stadt beim Land deutlich macht, dass Großstädte hier Flexibilität brauchen, um Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Ausgehen zusammenzubringen.

Ein Verein als Ausweg

Doch auf eine Lösung zu warten, bis sich die Gesetzgeber in Bund und Land bewegen, dauert für Anna Ross und Saeed Kakavand zu lange. Deshalb haben sie nun einen Verein gegründet, bekommen Kulturförderung der Stadt für ihre Veranstaltungen und bespielen die Clubräume und die Räume darüber. Dort hat Kakavand ein Studio für Ton und bewegte und stehende Bilder eingerichtet, das Genre aus dem er kommt. Sie veranstalten Workshops, Ausstellungen und betreiben den Ersten Stock als Bar. Ohne laute Musik. Ohne Tanzen.

„Weil wir den Raum erhalten wollen als Ort für Kultur und Überraschendes“, sagt Anna Ross. Also improvisieren sie. Gezwungenermaßen. Wie so viele andere Akteure des Nachtlebens. Denn was die Politik des Tags versäumt, lässt sich des Nachts nicht reparieren.