Berge versetzen ist gar nicht nötig, findet unser Autor: Der neue Nachtbürgermeister sollte vor allem dafür einstehen, die kulturelle und soziale Bedeutung des Nachtlebens in die Köpfe der Stuttgarter zu bringen. Wenn das mit der Wahl dann auch mal klappt.

Stuttgart – Nachtökonomie gehört zu den Worten, die vor 30 Jahren noch niemand benutzt, geschweige denn gekannt hat. Aus gutem Grund: Auch in Stuttgart ist es noch nicht ewig so, dass man im Grunde die ganze Woche durchtrinken, durchfeiern, durchtanzen kann, wenn man das denn möchte – die aktuelle Situation natürlich mal ausgenommen.

 

Die Nacht als Wirtschaftsfaktor

Auch in Stuttgart ist das Nachtleben zu einem erheblichen Wirtschaftsfaktor geworden. Das fängt bei der Currywurst beim Brunnenwirt nachts um zwei Uhr an, führt über die Kneipen und Bars weiter in die Clubs bis zum Nachhauseweg. Nachts wird in Stuttgart richtig Kohle gemacht, werden dicke Umsätze eingefahren, erleben Branchen wie der Taxibetrieb eine Rush Hour nach der anderen. Ein Beispiel aus der Hauptstadt: In Berlin sorgen Club-Touristen für einen Umsatz von 1,48 Milliarden Euro pro Jahr.

Online-Abstimmung wurde ausgesetzt

Den ersten deutschen „Night Mayor“ gibt es seit 2018 in Mannheim. Jetzt soll auch Stuttgart einen bekommen. Oder besser gesagt zwei, die die „Koordinierungsstelle Nachtleben“ besetzen: „In dieser Koordinierungsstelle kümmern sich ein Mitarbeiter der städtischen Wirtschaftsförderung und eine Fachkraft des Pop‐Büros Region Stuttgart um die Weiterentwicklung des Standorts im Bereich der Themen Nachtkultur, Nachtökonomie und Nachtsicherheit“, heißt es vom Pop-Büro. Doch in Sachen Abstimmung und Präsentation der Kandidat*innen scheint es etwas zu ruckeln.

Bindeglied der Subkultur

Per Definition des Stuttgarter Club Kollektivs ist ein Nachtbürgermeister ein „klares Bindeglied zwischen den Akteuren des Nachtlebens, Politik, Verwaltung und Anwohnern. Themen wie die Musikszene, Bars und Subkultur im Allgemeinen sollen ebenso in die Aufgaben einfließen, um gesamtheitliche Ideen, Konzepte und Lösungen zu schaffen.“ Das klingt per Dekret zunächst mal ganz ausgezeichnet. Es birgt jedoch einige Schwierigkeiten. Fälle der letzten Jahre, wie der Buttersäure-Angriff auf das Ice Café Adria oder unzählige Beschwerden von Anwohnern über nächtlichen Lärm in der Innenstadt, haben die Fronten zwischen Gastronomen und Club-Betreibern auf der einen und Anliegern auf der anderen Seite ziemlich verhärtet.

Ein Nachtbürgermeister darf hier in keinem Fall nur der Buhmann sein, den die Stadt vorschickt, um den Ärger von sich abzulenken und auf dem Papier etwas für das Nachtleben getan zu haben. Wie schwer sich Teile der Verwaltung immer noch mit dem Konzept der Nachtökonomie tun, haben in den letzten Jahren immer wieder Forderungen, wie die nach einer bestimmten Anzahl an Parkplätzen bei sehr zentralen Locations, gezeigt.

Manager statt Bürgermeister

Nein, ein Nachtbürgermeister allein reicht nicht, um Stuttgarts Nachtleben besser, sicherer, sauberer und nachhaltiger zu gestalten. Es reicht auch nicht, wenn eine stadtbekannte Nase den Posten bekommt. Allzu oft haben sich Persönlichkeiten des Nachtlebens tendenziös geäußert, sich (unfreiwillig) Feinde gemacht und selbst Probleme mit Anwohnern gehabt. Hendrik Meier, Deutschlands erster Nachtbürgermeister aus Mannheim, beschrieb sein Amt mal als Mischung aus Sozialarbeiter, Mediator und Kulturprojektmanager. Politik werde bei einer solchen Stelle eigentlich kaum gemacht, auch entscheiden kann ein Nachtbürgermeister nichts. Deswegen nennt Stuttgart diese Stelle explizit auch Nachtmanager, und nicht etwa Nachtbürgermeister.

Kultur und Nachtleben nach außen repräsentieren

Diese Person kann aber, und das ist immens wichtig, die Kultur und das Nachtleben einer Stadt nach außen repräsentieren. In Stuttgart gibt es da viel zu tun. Noch immer wird die kulturelle und soziale Bedeutung von Clubs kleingeredet bis komplett ignoriert, noch immer bedeutet Nachtleben für die meisten Alkohol, Drogen, Schmutz und Gewalt. Ein Nachtbürgermeister in Stuttgart muss alles geben, um mit diesem Vorurteilen aufzuräumen. Das sollte der Stadt allein schon aus wirtschaftlicher Sicht ein Anliegen sein: Ein blühendes, sicheres und einzigartiges Nachtleben bringt die Menschen ebenso in die Stadt wie die Oper, der VfB oder das SI-Centrum. Sollte es fortan also einen offenen Dialog zwischen Stadt, Nachtkultur und Bewohnern geben, ist schon viel gewonnen. Vieles lässt sich lösen, wenn man miteinander spricht.