Die Genres Doom und Ambient sind nichts für Schönwetterkonzertgänger. Wer sich darauf einlässt, hört und fühlt Popmusik neu - wie das Konzert von Nadja und Farce im Komma zeigte. Katzenvideos gab es auch zu sehen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Esslingen - Mit dem Hinweis, da stehe ein hochinteressantes Konzert aus den Genres Doom und Ambient an, kriegt man Schönwetterkonzertgänger nicht motiviert, beispielsweise an einem Donnerstagabend zum Auftritt von Nadja und Farce mitzukommen. Dass der Eindruck nicht täuscht, zeigt das anfangs sehr kleine Publikum im großen Saal im Esslinger Komma, das mit der Zeit - solche Konzerte beginnen eben nicht vor halb zehn - dann doch zu einer ansehnlichen, ganz überwiegend in Schwarz gekleideten Menge anwächst. 

 

Möglich, dass manch einer nur für den Support Act da ist: alias Farce tritt die von der Stuttgarter Band Boden, mittlerweile in Wien lebende Veronika Koenig auf die Bühne. Hinter ihrer überschaubaren Technik kann und will sie sich nicht verstecken, ist aber natürlich an ihr Instrument gefesselt - wir sind hier schließlich nicht bei einer Playback-Show. Ganz und gar nicht. Die verhallten, von Beat und Koenigs Stimme zusammengehaltenen Songs klingen an vielen Stellen wie eine rohe Version der Berufsmelancholiker Beach House.

Während diese Band live dazu neigt, denselben Song zwölf Mal zu spielen, spielt Farce gefühlt nur einen einzigen Song. Ohne Pausen wogt ihr Konzert zwischen textlichen Abgründen und diversen Klang- und Verzerrexzessen, die vor allem durch den verbindlichen Gesang der Kahlgeschorenen in den Bann ziehen. Im Hintergrund schieben sich Massen von Autos und Menschen rückwärts durch große Städte. Die Songs sind dieses kleine bisschen zu langsam, der Subbass fährt stellenweise fast unangenehm durch den Körper. Diese Musik scheint die Zeit zu überdehnen, dunkle Löcher tun sich auf und Farce springt bereitwillig hinein. 

Die klangliche Präsenz der Musikerin steht übrigens im frappierenden Widerspruch zu der Geschwindigkeit, mit der sie von der Bühne verschwindet: Laptop, Sampler und zwei Kabel ins Ledertascherl gepackt, fertig. Das dauert keine halbe Minute. Wie gut, dass der musikalische Eindruck länger anhält.

Gespielt wird ein ganzes Album - also ein Song

Dann werden die Nebelmaschine und die Lüftung angeworfen und der Saal abgedunkelt. Der überaus umtriebige Aidan Baker und seine Mitmusikerin Leah Buckareff verlassen ihren eigenen kleinen Plattenladen, den sie im hinteren Teil des Komma-Saals aufgebaut haben in Richtung Bühne: die Bassistin Buckareff sieht man während des Auftritts nur von hinten, Baker schraubt an seiner Gitarre, der Schlagzeugmaschine und diversen Effektgeräten herum, im Hintergrund laufen pixelige Katzenvideos. Dazu spielt das Duo, wie es im Pop (UB40, U2) derzeit Mode ist, ein komlettes Album - was in dem Fall bedeutet, dass genau ein Stück zur Aufführung kommt, nämlich "Sievert" vom 2015 erschienenen Album "Sv", Dauer etwa eine Stunde.


Gesungen wird nicht, das Album-Artwork zeigt Zeichnungen von primitiven Lebewesen vor dunklen Wolken, die das Sonnenlicht nicht mehr durchlassen. Es geht bei dieser Musik aber nicht um eine in Worte zu fassende Aussage. Sondern um mehrfach verfremdete Gitarrensounds, zittrig wummernde Bässe, ein Hineinhorchen in diesen undurchdringlichen Klang-Dschungel. Hätten Nadja das besagte Album nicht als Beweis dabei, dass diese Musik genau so gewollt ist, könnte man das auch als beliebigen stream of consciousness verstehen. Doch dieses Anschwellen-und-nicht-mehr-Weggehen unterscheidet sich sich so sehr von dem auf immer neue Reize und Höhepunkte programmierten Mainstream-Pop, dass es im Gegenteil genauestens vorbereitet und hochkonzentriert gespielt werden muss - am Ende auch mit einem Pferdehaar-Bogen.

Mit solcher l'art pour l'art verbringt seinen Feierabend nur, wer vom konventionellen Musikhören bewusst Abstand nehmen kann und will oder ein Ticket fürs Eclat-Festival hat. Das ist anstrengend und es bedeutet im Komma, zwei Menschen dabei zuzusehen, wie sie ohne jede Interaktion mit dem Publikum einen einzigen, aus vielen, irgendwann kaum mehr unterscheidbaren Sounds zusammengeschichteten Song aufführen. Wer sich darauf einlässt, die Augen schließt und die Ohren öffnet und angesichts so düster-bedrohlicher Klänge nicht depressiv wird oder verängstigt den Raum verlässt, erlebt, wie intensiv Musik auf den Zuhörer wirken kann: La Doom deluxe.


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