Der Luftreinhalteplan mit dem nächsten Fahrverbot zum 1. Juli ist in Kraft. Das Land will die Umsetzung verhindern und argumentiert mit neuen Zahlen. Bald müssen erneut die Gerichte entscheiden.

Stuttgart - Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) hat vergangene Woche eine Beschwerde des Landes abgewiesen. Es muss 25 000 Euro zahlen, weil das bereits für September 2019 vorgesehene Verkehrsverbot für Euro-5-Diesel in Stuttgart noch immer nicht in Kraft ist und der Stickstoffdioxid-Grenzwert auch 2019 nicht eingehalten war. Das Land wird nun zahlen. Aber kommt jetzt auch das Fahrverbot?

 

Wie reagiert das Land auf die Entscheidung?

Die Aussagen aus dem Verkehrsministerium von Winfried Hermann (Grüne) dazu sind zweideutig. Sein Amtschef Uwe Lahl ließ als direkte Reaktion auf den VGH-Beschluss mitteilen, zonale Verkehrsverbote für Euro-5-Diesel seien „unvermeidbar“, und „letztinstanzliche Urteile werden selbstverständlich umgesetzt“. Drei Sätze weiter hießt es in der knappen Mitteilung, man müsse das Verkehrsverbot ab dem 1. Juli 2020 „vorbereiten“. Von Umsetzung ist nicht die Rede, im Gegenteil. Man werde eine Vollstreckungsabwehrklage einreichen, so Lahl. Ziel einer derartigen Klage des Landes ist es aber, „unvermeidbare“ Verbote zu vermeiden.

Was steht aktuell im Luftreinhalteplan?

Der Luftreinhalteplan des Regierungspräsidiums mit den Euro-5-Dieselfahrverboten in der Innenstadt, Bad Cannstatt, Feuerbach und Zuffenhausen ist seit März 2020 in Kraft. Für das neue Fahrverbot ab 1. Juli müsste die Stadt jetzt für 250 000 Euro Schilder bestellen und aufstellen. Das ist nicht der Fall. „Wir sind mit dem Land im Austausch und in Abstimmung, wie in der Angelegenheit nun weiter verfahren wird“, so eine städtische Pressesprecherin.

Welche Möglichkeiten eröffnet die Vollstreckungsabwehrklage?

Zunächst sichert die Klage vor allem den Koalitionsfrieden. Grüne und CDU gerieten wegen des Stuttgarter Fahrverbots 2017 heftig aneinander, weil damals nicht alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, die Grünen setzten sich mit der Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht Leipzig durch. Dort konnten keine neuen Tatsachen vorgebracht werden. Im Februar 2018 kam daher aus der letzten Instanz das zweistufige Fahrverbots-Urteil, erst für Diesel bis einschließlich Euro 4, dann für die mit Euro 5. Das Urteil selbst kann nicht mehr korrigiert werden. Aber unter bestimmten Umständen könnte auf die Vollstreckung für Euro- 5-Diesel verzichtet werden.

Wie wird das Land vorgehen?

Eine Anwaltskanzlei sei „entsprechend des Auftrags des Koalitionsausschusses bereits beauftragt“, unverzüglich die Vollstreckungsabwehrklage beim Verwaltungsgericht Stuttgart zu erheben, so das Verkehrsministerium auf Anfrage. Die Klage allein reicht nicht aus, um die Umsetzung des neuen Fahrverbots bis zum 1. Juli zu verhindern, denn die Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Um den Vollzug zu hemmen, muss ein Eilantrag gestellt werden, in dem der Aufschub bis zur Entscheidung über die Klage gefordert wird.

Kommt der Eilantrag?

Die Beratungen dazu hätten „noch nicht stattgefunden“, teilt das Verkehrsministerium mit, man kenne den Beschluss aus Mannheim ja erst seit Freitag. Das mag sein, aber kein Eilantrag? Das wäre widersinnig und würde die Koalition gefährden.

Wie argumentiert das Land?

Das Verkehrsministerium kann in der Klage neue Tatsachen vorbringen, das Verwaltungsgericht muss sie bewerten, im Verfahren vor dem VGH ging das nicht. Das Land hebt nun darauf ab, dass die tatsächlichen Stickstoffdioxidwerte von Januar bis April den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erreicht haben oder nur noch knapp darüber liegen. Prognosen für das gesamte Jahr bestätigten diese Entwicklung. Nur noch an der Pragstraße bleibe man 2020 mit 42,9 bis 43,2 Mikrogramm über dem Grenzwert. „Verkehrsverbote können und sind immer dann aufzuheben, wenn sie nicht mehr erforderlich sind, um den Grenzwert einzuhalten“, so das Ministerium.

Wie ist die Überschreitung an der Pragstraße zu bewerten?

Der VGH hat sich in seinem Zwangsgeld-Beschluss festgelegt: Bei einem Wert von unter 44 Mikrogramm spricht der Senat von einer geringfügigen Überschreitung, bei der das Fahrverbotsurteil aus Leipzig wegen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zwangsläufig vollstreckt werden müsste. Es träfe Zehntausende Autofahrer. Die Deutsche Umwelthilfe als Kläger sieht das natürlich anders. Die 40 Mikrogramm stünden im Gesetz und müssten überall eingehalten werden. „Ein Blick in andere Länder zeigt, dass man sich nicht willfährig dem Ansinnen der DUH beugen muss“, sagt Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef im Landtag.

Wie beurteilte der Verwaltungsgerichtshof die die Prognose?

Während die Mannheimer Richter bei 40 oder 44 Mikrogramm eine gewisse Kulanz zeigen, sind sie gegenüber der Prognose skeptisch. Das könnte auf das Verwaltungsgericht Stuttgart abfärben. 2020 mit der Coronakrise sei ein Ausnahmejahr, so der 10. Senat in Mannheim. Der Grenzwert müsse auch 2021 sicher eingehalten werden können. Nicht überzeugt war der Senat auch von den positiven Annahmen des Landes in Sachen Software-Updates bei Dieseln. Ob diese so hohe Minderungen bei Stickstoffdioxid bringen wie vorgerechnet, sei fraglich, die DUH habe weitaus geringeres Reduktionspotenzial festgestellt. Die Einwendungen der Umwelthilfe seien „hinreichend substantiiert“, so die Mannheimer Richter.

Wie lange dauert das Verfahren?

Noch seien weder eine Klage noch ein Eilantrag eingegangen, so ein Sprecher des Verwaltungsgerichts, und auch wenn diese vorlägen, seien Aussagen zur Verfahrensdauer nicht möglich Für das Gericht gibt es keine Frist, in der es über den Eilantrag entscheiden müsste.

Welche Möglichkeiten bleiben den Fahrern von Euro-5-Dieselmodellen?

Im Luftreinhalteplan sind befristete (nach einem Software-Update) und unbefristete Ausnahmen (Hardware-Nachrüstung) vom Verbot vorgesehen. Die Nachrüstung würde also dauerhaft helfen. Mercedes und Volkswagen bezuschussen sie mit 3000 Euro. Diese Summe reicht für den Nachrüstsatz, so er inzwischen verfügbar ist, nicht immer aus. Leser unserer Zeitung berichten von Gesamtkosten von 4100 Euro zum Beispiel für das gängige Dieselmodell Mercedes GLC.