Gerade ist die 6. Staffel der Frauenknastserie „Orange is the new Black“ bei Netflix gestartet. Natasha Lyonne spielt seit Anfang an mit. Im Interview spricht sie über Netflix, Trump und Metoo.

Stuttgart - Natasha Lyonne sitzt im Knast. Wenn auch nur in ihrer Rolle als Nicole Nichols in „Orange is the new Black”. Die Netflix-Produktion, deren sechste Staffel gerade gestartet ist, wirft einen mal tragischen, mal augenzwinkernden Blick auf den ungeschminkten Alltag in einem Frauengefängnis. Im Interview spricht Natasha Lyonne über die gesellschaftliche Relevanz der Erfolgsserie.

 
Mrs. Lyonne, die Serie kehrt dem bisherigen Frauengefängnis Litchfield nach fünf Staffeln den Rücken. War das ein emotionaler Moment oder überwog die Freude auf etwas Neues?
Ich schätze, beides war der Fall. Das neue Set eines Hochsicherheitsgefängnisses ist ganz außerordentlich, sehr eindrucksvoll strukturiert und designt. Es war wirklich aufregend, es zum ersten Mal zu betreten. Für uns Schauspieler ist es sehr hilfreich, in eine neue Umgebung geworfen zu werden. Für die Charaktere auch.
Ist es auf Dauer hart, in einer Gefängnisumgebung spielen zu müssen?
Die Drehbücher sind sehr gut. Die Geschichte breitet sich immer mehr aus, deshalb bleibt es interessant. Es werden so viele Aspekte des Strafsystems aufgegriffen und so viele Stories über zwischenmenschliche Beziehungen erzählt. Es gibt immer wieder tiefe Einschnittein den einzelnen Biografien wie in der gesamten Handlung. Das lässt das Interesse niemals versiegen.
Die sechste Staffelist die erste, die in der Metoo-Ära spielt. Sie haben 1996 für „Alle sagen: I love you“ mit Woody Allen gearbeitet. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Ich war sechzehn Jahre alt, als ich diesen Film gemacht habe.Es hat keine unangenehmen Situationen gegeben. Aber es hat, darüber habe ich früher schon gesprochen, einen sexuellen Übergriff durch einen anderen Regisseur gegeben, als ich 19 war. Ich kann mich sehr stark mit allen Frauen identifizieren, die so etwas erlebt haben. Ich würde es wirklich sehr gern miterleben, dass sich Donald Trumps anzügliche Sprüche und Handlungen am Ende gegen ihn wenden. Jeder muss die Konsequenzen für sein Handeln tragen, außer diesem Typen, der so vielen das Leben zur Hölle macht.
Setzt Hollywood mit Metoo ein Zeichen?
Es ist scheinheilig, dass jahrzehntelang Typen wie Polanski oder Harvey Weinstein Oscars gewonnen haben und man sich jetzt dankbar zeigt, dass „Vergewaltigung“ auf ihrem Steckbrief steht. Ich glaube nicht, dass Hitchcock besonders gut mit Frauen umgegangen ist. Oder Brando am Set von „Der letzte Tango von Paris“. Unsere gesamte Geschichte ist von Horror durchsetzt. Da ist der Missbrauch von Frauen, aber auf einer noch größeren Skala der Ungerechtigkeiten der epidemische Rassismus, der so grausam zutage tritt wie noch nie zuvor. Mit Obama waren wir auf dem richtigen Weg. Grundlegende Dinge wie das Recht der Frau auf Abtreibung oder die freie Verfügung über ihren eigenen Körper waren schon seit den 70ern gegeben. Der Weg zurück, den unsere Gesellschaft jetzt einschlägt, trifft auf die Metoo-Bewegung. Man kann nur hoffen, dass die Guten gewinnen.
Mit welchen Gefühlen beobachten Sie die Entwicklung?
Im Moment ist es beängstigend wie die Hölle. Es ist, als lebe man unter einer fortgeschrittenen, andauernden Bedrohung. Man fragt sich, wann wohl die Revolution starten und wie sie aussehen wird. Hoffentlich findet sie in überschaubaren, aber kontinuierlichen Schritten statt. Man kann nur jeden neuen Tag aufs Neue hoffnungsvoll angehen. Vielleicht ist es ja das letzte Röcheln der alten Garde. Der Tod der alten Ideen.
Wie gelingt es Ihnen, im Showgeschäft Ihr Feingefühl zu bewahren?
Ich neigte viele Jahre zur Selbstzerstörung. Das ist wohl nicht der Weg, den man beschreiten sollte. Ich werde für das Geschäft langsam zu alt. Ich arbeite seit meinem sechsten Lebensjahr darin. Nun bin ich 39 und fühle dank der Metoo-Bewegung und der Serie die Macht der Freundschaft zu so vielen Frauen und Männern in diesem Geschäft. Früher musste ich die Leute davon überzeugen, mich für eine Rolle auszuwählen. Heute sage ich: Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, sonderbar und anders zu sein oder das Spiel nicht mitspielen zu wollen. „Orange is the new Black“ ist großartig, hier ist mein Platz. Ich liebe die Leute von Netflix und mache eine weitere Serie mit ihnen. Die Show hat mich umerzogen.
Inwiefern?
Ich bin ungeschminkt und gehe in diesem Ensemble auf, in dem alle so verschieden sind. Trotzdem sind wir alle auch gleich. Man sieht all die Aspekte, die mich einmal ausgemacht haben. Man sieht mich, wenn ich nur zwei Stunden geschlafen habe, wenn ich singe oder plötzlich aus dem Nichts tourette-artige Fluchausbrüche habe. Man sieht mich weinen oder in einer Trennungssituation. Ich habe in der Serie gelernt, dass man mich trotz allem aufrichtig liebt, was mich dazu befähigt, zurück zu lieben. Die Show hat mein Verhältnis zu allem in diesem Geschäft verändert.
Sie ist aber auch richtig erfolgreich ...
Ich gebe nichts auf die geschäftliche Seite, ich beschäftige mich mit den Dingen, die mir wichtig sind. Glücklicherweise war ich nie darauf aus, Hits zu landen. Erfolg war immer ein Unfall.Ich kann mir vorstellen, dass „The Rock“ sich ziemlich schlecht fühlt, weil seine Filme 100 Millionen einspielen müssen. Ich bin nicht „The Rock“ und musste nie auf ein Einspielergebnis Rücksicht nehmen. Ich habe kleine, ikonische Sonderlinge etabliert und meine kauzige Nummer durchgezogen. Wer es nicht mag, kann sich ja abwenden.

Infos: Natasha Lyonne spielt Nicky, eine von rund zwei Dutzend Hauptfiguren in „Orange is the new Black“. 1979 in New York geboren, trat Lyonne schon mit 16 Jahren in Woody Allens „Alle sagen: I love you“ auf. Ihr kommerzieller Durchbruch kam 1999 mit der Geschmacksgrenzen verschiebenden Teeniekomödie „American Pie“.

2013 gestartet, fußt „Orange is the new Black“ ursprünglich auf dem gleichnamigen autobiografischen Buch (auf Deutsch bei Rowohlt) von Piper Kerman über 15 Monate Haft in einem Frauengefängnis. Von allen Eigenproduktionen des Streamingdienstes Netflix, der auch „House of Cards“, „Tote Mädchen lügen nicht“ und „Stranger Things“ im Programm hat, ist dies nach Anbieterangaben die weltweit am meisten geschaute.

Zweimal hat Lyonne zusammen mit ihren Kolleginnen bereits den Ensemblepreis der US-Filmschauspielergewerkschaft gewonnen – in der Kategorie Komödie. Andere Juroren wie die der Emmys stufen die Knastserie mittlerweile allerdings in der Kategorie Drama ein.

Einige Jahre lang kämpfte Natasha Lyonne mit schweren gesundheitlichen Problemen, trank zuviel und geriet wegen Mietstreitigkeiten und Alkohol am Steuer in die Schlagzeilen und mit dem Gesetz aneinander. In dieser Zeit schrammte sie selbst mindestens einmal an einer Haftstrafe vorbei. Den Job bei „Orange is the new Black“ nennt sie wohl auch deshalb ihre Rettung.