Vor den beiden EM-Qualifikationsspielen in Weißrussland an diesem Samstag und gegen Estland am Dienstag darauf residiert die Nationalmannschaft im niederländischen Venlo – und das ruft Kritiker wie Berti Vogts auf den Plan.

Sport: Marco Seliger (sem)

Venlo - In Venlo lässt es sich aushalten, es gibt in der schmucken kleinen Innenstadt eine lebendige Caféhauskultur, und wenn das Wetter einigermaßen passt, stellen die Betreiber die Stühle einfach raus, wenn es sein muss vogelwild über den ganzen großen Rathausplatz verteilt. Am Ufer der Maas, dem Fluss der Stadt, werden alte Wohnmobile als mobile Bars mit blinkenden Lichtern benutzt, und die Jugend der Stadt trifft sich zum Bierchen am Wasser.

 

Auch das kleine Fußballstadion des örtlichen Erstligisten VVV Venlo hat einen ursprünglichen Charme, 8000 Plätze, kleine Tribünen, auf der einen Seite gibt es sogar einen Ober- und einen Unterrang. Der Mittelrang dazwischen allerdings besteht nur aus Gras und Sträuchern. Fußball pur. Ohne piekfeinen Arena-Schnickschnack.

Ausgerechnet beim Erzrivalen

Aber was bitte will die deutsche Fußball-Nationalelf hier? In den Niederlanden? Beim fußballerischen Erzrivalen? Geht’s noch? Können die nicht irgendwo in Deutschland trainieren, vor allem vor dem Hintergrund, dass man nach dem Komplettreinfall bei der WM 2018 samt gewaltigem Imageschaden doch endlich wieder so etwas wie Fannähe herstellen will?

So oder so ähnlich klangen so manche Vorbehalte einiger Skeptiker vor den beiden EM-Qualifikationsspielen in Weißrussland an diesem Samstag und gegen Estland am Dienstag darauf, zu denen übrigens auch der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts zählt. „Ich habe das für einen Aprilscherz gehalten“, sagte Vogts über den Standort des Trainingslagers: „Der DFB kann doch nicht mehr Fannähe predigen und dann im Ausland wohnen – selbst wenn es nicht weit entfernt von der Grenze liegt“. In Deutschland, so Vogts weiter, sei es für die Fans einfacher, sich am Teamhotel ein Autogramm zu holen. Sein Fazit zur Quartierwahl: „Das kann ich nicht verstehen und hätte es bei mir nicht gegeben.“

Einfach nur kleinkariert?

So weit, so eindeutig. Oder vielleicht doch: So weit, so kleinkariert? Wer sich der rund 100 000 Einwohner zählenden Grenzstadt Venlo nähert, fährt über die Grenze, die es ja dank der EU (auch die Mönchengladbacher Legende Berti Vogts sollte das als Kind der Grenzregion wissen) gar nicht gibt. Für den gemeinen Fan, der in der Grenzregion rund um die deutschen Kreise Kleve und Viersen lebt, macht es im Grunde keinen Unterschied, ob er nun nach Venlo fährt oder ins rund 20 Autominuten entfernte Mönchengladbach.

Auch Aachen ist nicht weit – und genau mit diesem Standort erklärt der DFB-Direktor Oliver Bierhoff die Ortswahl des Trainingslagers von Montag bis Freitag und der Abreise nach Weißrussland. Im Aachener Tivoli wird sich die Nationalelf an diesem Mittwoch (17.30 Uhr/ live bei RTL) mit einem internen Übungsspiel zweier Mannschaften den Fans präsentieren und so versuchen, die ausgerufene Nähe zu leben. Nach dem Kick stehen die Nationalspieler für Autogramme und Fotos zur Verfügung.

Alles war besetzt

„Wir haben ja unsere Veranstaltung in Aachen und daher ein Quartier in der Nähe gesucht. Aber die Standorte in der Nähe wie Düsseldorf, Mönchengladbach und Köln waren allesamt besetzt. Deshalb mussten wir ausweichen“, sagte Bierhoff: „In Venlo haben wir optimale Trainingsbedingungen. Man muss schauen, wo man kurze Wege hat, und wir haben dort eine tolle Anlage“, ergänzte Bierhoff. Es gehe beim Standort Venlo keineswegs darum, sich vor der deutschen Öffentlichkeit abzuschotten.

Er verstehe die Fragen danach ohnehin nicht ganz, meinte Bierhoff noch: „Wir hatten gerade Europawahl, es ist doch alles friedlich und freundschaftlich zwischen den Niederlanden und Deutschland, wir sehen da keine Grenzen mehr. Und ich wollte ohnehin mal wissen, wo das halbe Ruhrgebiet am Wochenende immer einkaufen geht.“ Es sei schlicht um die Verfügbarkeiten nahe Aachen gegangen, betonte der Direktor, „und da haben wir null darüber nachgedacht, dass es in Holland ist.“

Eine gute Location

Bierhoff betonte, dass man sich mit dem Fanfest in Aachen wiederum bewusst für einen Ort fernab eines Bundesligisten entscheiden habe. „Wir wollen dahin, wo die Leute nicht so sehr verwöhnt sind mit einem Erstligisten, wir wollten ein bisschen in die Peripherie – Aachen ist da eine gute Location.“ Der öffentliche Test im tiefen Westen soll auch dazu dienen, das gesellschaftliche Engagement des DFB zu präsentieren, allen voran die Egidius-Braun-Stiftung. Der DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun (94) lebt in Aachen.