Bastian Schweinsteiger hat beim 2:0 gegen Ungarn gezeigt: Es dürfte noch eine Weile dauern, bis er bei der EM eine echte Hilfe ist.

Gelsenkirchen - Zum Abschied gibt es Geschenke. 300 Fußbälle schießen die deutschen Nationalspieler nach dem 2:0-Testspielsieg gegen Ungarn am Samstagabend ins johlende Publikum und legen noch einmal bemerkenswerte Einsatzfreude an den Tag. Lukas Podolski beispielsweise drischt die Kugel mit voller Wucht bis in den Oberrang der Schalker Arena – und wird von Antonio Rüdiger noch übertroffen. Unterm Tribünendach findet sein fulminanter Spannstoß einen glücklichen Abnehmer.

 

Bastian Schweinsteiger hingegen verzichtet sicherheitshalber auf einen solchen Gewaltschuss und wirft seinen Ball lässig mit der Hand in die erste Reihe. Nicht dass er sich wieder verletzt.

Pünktlich zum letzten Test vor der Abreise zur Europameisterschaft in Frankreich an diesem Dienstag hat sich der Kapitän zurückgemeldet. Gut zwanzig Minuten stand er gegen Ungarn auf dem Feld und half, den Vorsprung über die Zeit zu bringen, was Joachim Löw als „wichtigen ersten Schritt“ betrachtete. „Er gibt der Mannschaft mit seiner Persönlichkeit eine gewisse Sicherheit“, fuhr der Bundestrainer fort – doch entging auch ihm nicht, dass es Schweinsteiger noch erheblich „an Rhythmus und Spielpraxis“ fehlt.

Schwerfällig trabte der Routinier über den Platz und fand kaum Bindung zum Spiel, was niemanden verwundern kann. Monatelang war er nach zwei Innenbandrissen im Knie verletzt, am 2. Januar hat er mit Manchester United sein letztes Spiel über 90 Minuten bestritten. Momentan schwer vorstellbar, dass er in dieser Verfassung eine große Hilfe während der Europameisterschaft sein kann.

Einzelne Spieler nicht auf Top-Niveau

Andererseits: auch vor der WM 2014 ist Schweinsteiger lange verletzt gewesen, bevor er sich nach und nach ins Turnier kämpfte und am Ende einen wesentlichen Beitrag zum Titel leistete. Mit Sami Khedira wechselte er sich damals ab, mal spielte der eine, mal der andere. Ein solches Modell des Jobsharings dürfte Löw auch jetzt im Sinn haben, zumal Khedira gegen Ungarn nach einem Pressschlag zur Pause ausgewechselt werden musste. „Reine Vorsichtsmaßnahme“, sagt der Bundestrainer zwar, gleichzeitig weiß er aber genau: „Einzelne Spieler werden nicht sieben Spiele auf höchstem Niveau bestreiten können.“

Das gilt für Schweinsteiger und vermutlich auch Khedira, für Mats Hummels, der wohl frühestens im dritten Gruppenspiel zur Verfügung stehen wird, sowieso – aber auch für andere Spieler der deutschen Auswahl. Die EM werde „schwer und kräftezehrend“, sagt Löw und erwartet „vom ersten Spiel an Abnutzungskämpfe“. Auf eine Wunschelf will er sich daher nicht festlagen und sagt: „Wir werden jeden Spieler brauchen und müssen alle so vorbereiten, dass sie genau wissen, was sie im Ernstfall zu tun haben.“

Zumindest die Mittelachse mit Manuel Neuer, Jerome Boateng, Toni Kroos und Mesut Özil sowie Thomas Müller auf rechts soll möglichst unverändert bleiben. Auf den anderen Positionen aber wird Löw variieren. Hinten rechts durfte gegen Ungarn Benedikt Höwedes, in diesem Jahr ebenfalls lange verletzt, 90 Minuten Spielpraxis sammeln – doch steht als Ersatz Joshua Kimmich bereit, der aufgrund seiner spielerischen Vorteile zumindest in der EM-Vorrunde auf Einsatzzeiten hoffen kann. Auf links testete der Bundestrainer Emre Can als Alternative für Jonas Hector. Davor sind Julian Draxler und André Schürrle die Kandidaten für den Platz, der eigentlich für Marco Reus vorgesehen war. Und ganz vorne will Löw „von Spiel zu Spiel entscheiden“, ob eher eine falsche Neun (Mario Götze) oder aber ein richtiger Mittelstürmer (Mario Gomez) benötigt wird.

Schweinsteiger bekommt einen Trainingsplan

Im Fall Schweinsteiger muss sich Löw vorerst nicht allzu viele Gedanken machen. Für die Startelf ist der Kapitän zu Turnierbeginn keine Option, das weiß der Bayer selbst: „90 Minuten im ersten Spiel – das geht eher nicht“, sagt der 31-Jährige nach seinem Comeback gegen Ungarn – ist aber guter Dinge, dass sich dies bald ändern wird: „Ich konnte vor der EM mehr trainieren als vor zwei Jahren vor der WM.“ Ein positives Zeichen, das findet auch Toni Kroos: „Es ist gut, wenn er Minuten sammelt. Er hat gezeigt, dass er wieder wichtig werden kann.“

Vorher aber wird Bastian Schweinsteiger weiter hart arbeiten müssen. Mit einem Trainingsplan schickt ihn Joachim Löw nach dem Spiel in die zwei freien Tage bis zum Treffpunkt am Dienstagmittag am Frankfurter Flughafen. Es zählt mal wieder jede Stunde.