Auf der Nato-Tagung in Riga ist der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine das zentrale Thema

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Brüssel - Ende Oktober reagierten manche Nato-Partner noch überraschend entspannt auf die ersten Warnungen aus den USA. Man sei besorgt über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, hieß es damals aus Washington. Inzwischen hat sich allerdings bei allen die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich an der Ostflanke des Verteidigungsbündnisses etwas durchaus Bedrohliches zusammenbraut. Die militärischen Aktivitäten Russlands „geben uns Anlass zu größter Sorge“, erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag unmittelbar vor Beginn des zweitägigen Treffens der Nato-Außenminister in Riga.

 

Das Programm der Tagung wird umgeworfen

Im Mittelpunkt des Gipfels in der lettischen Hauptstadt sollte ursprünglich unter anderem die Aufarbeitung des missglückten Abzuges der westlichen Truppen aus Afghanistan und die dann folgende Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban stehen. Doch wurde die Tagesordnung von der aktuellen politischen Entwicklung im Osten Europas überholt. In Kiew wird bereits seit Tagen vor einem möglichen Einmarsch Russlands in die Ukraine gewarnt. „Im schlimmsten Fall versucht Russland, die Grenzen in Europa mit Gewalt neu zu ziehen, wie es das 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine bereits tat“, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba. Er nannte die Zahl von angeblich 115 000 Soldaten auf russischem Gebiet an der gemeinsamen Grenze.

Die Bündnis-Mitglieder sind sich einige in der Einschätzung, dass Russland die Ukraine weiter destabilisieren will. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, Moskau habe bereits bei der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim und bei der Unterstützung der Separatisten in der ostukrainischen Region Donbass gezeigt, dass es den Willen und die Fähigkeiten habe, militärische Gewalt einzusetzen. Niemand solle zu viel spekulieren, aber der Ausbau der militärischen Präsenz sei ein Fakt und ungewöhnlich.

Eine Eskalation soll vermieden werden

Uneinigkeit herrscht allerdings über die Maßnahmen, die gegen diese offensichtliche Provokation Moskaus ergriffen werden sollten. Osteuropäische Länder wie Polen oder auch die baltischen Staaten drängen auf deutliche Signale. Dazu zählen etwa Waffenlieferungen an Kiew, die auch offiziell über die Nato laufen könnten. Davor warnen allerdings viele Seiten, da dieser Schritt von Moskau als aggressiver Akt empfunden werden und die Situation weiter eskalieren könnte. Eine weitere Möglichkeit wäre die Ausweitung der bereits bestehenden Sanktionen, die aber nicht von der Nato beschlossen werden können. Als Hinweis, dass diese Maßnahme ergriffen werden könnte, wird der gemeinsame Besuch von Nato-Chef Stoltenberg und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag im Baltikum gewertet.

Angespannte Situation in Belarus

Aber nicht nur der Aufmarsch an der ukrainischen Grenze bereitet der Nato Sorgen. Auch die Entwicklung im russischen Nachbarland Belarus wird sehr genau beobachtet, denn Minsk ist längst nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch zum willfährigen Vasallen Moskaus geworden. Es gilt als sicher, dass der Einsatz von Tausenden Migranten als „Waffen“ in einem hybriden Krieg an der Grenze zu Polen von Moskau mindestens akzeptiert wird. Dem Machthaber Alexander Lukaschenko wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu Ländern wie Polen und Litauen zu bringen.

Sanktionen gegen das Regime in Minsk

Die haben bereits in Erwägung gezogen, deswegen eine Nato-Sondersitzung zu beantragen. Artikel 4 des Nordatlantikvertrags sieht Konsultationen vor, wenn ein Mitglied meint, dass die Unversehrtheit des eigenen Territoriums, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sei. In diesem Fall hat die Europäischen Union allerdings bereits reagiert und weitere Sanktionen gegen das Regime in Minsk verhängt. Lukaschenko versicherte zwar, die Migranten mit Flugzeugen wieder in ihre Heimat zu bringen, doch Polens Grenzschutz registriert weiter Versuche von Migranten registriert, von Belarus aus die Grenzsperren zu überwinden und illegal in die EU zu gelangen. Am frühen Dienstagmorgen habe in der Nähe der Ortschaft Szudzialowo eine größere Gruppe „aggressiver Ausländer“ Steine, Metallstangen und Feuerwerkskörper auf die polnischen Beamten geworfen, teilte die Behörde auf Twitter mit.