Die Zahl der fliegenden Insekten hat sich in Deutschland in den vergangenen 27 Jahren in manchen Gebieten um mehr als 75 Prozent reduziert. Der dramatische Schwund hat Folgen – auch für den Menschen, kommentiert unser Redakteur Klaus Zintz.

Stuttgart - Dieser Tage haben die Naturschützer die Öffentlichkeit alarmiert – wieder einmal. Die Hiobsbotschaft, dass die Zahl der Insekten dramatisch abnimmt, ist keineswegs neu, doch das Ausmaß des Insektensterbens ist offenbar noch weitaus besorgniserregender als bisher gedacht: Demnach hat sich die Zahl der fliegenden Insekten in Deutschland in den vergangenen 27 Jahren in manchen Gebieten um mehr als 75 Prozent reduziert. Dabei schreitet nicht nur das Artensterben voran, vielmehr nimmt auch die gesamte Biomasse der Insekten dramatisch ab. Offensichtlich wird dies, wenn man an einem Sommerabend mit dem Auto unterwegs ist: War früher die Windschutzscheibe mit toten Insekten übersät, bleibt sie heute weitestgehend sauber.

 

Immer mehr Flächen werden zugepflastert

Das Insektensterben bleibt nicht ohne Folgen: Wie der Nabu, der Naturschutzbund Deutschland, jetzt meldet, gibt es auch bei vielen Vogelarten immer weniger Brutpaare. Insgesamt seien zwischen 1998 und 2009 rund 12,7 Millionen Brutpaare verloren gegangen. Darunter sind vor allem solche Arten, die zumindest ihre Jungen mit Insekten füttern. Weniger Insekten, weniger Vögel: Dieser Zusammenhang ist zwar wissenschaftlich bisher nicht klar bewiesen, er ist aber so naheliegend, dass er kaum zu bezweifeln ist.

Aber warum nehmen die Insektenzahlen so rapide ab – und was macht, neben dem fehlenden Insektenfutter, den Vögeln so sehr zu schaffen? Die Gründe sind vielfältig, sie dürften aber vor allem in der veränderten Nutzung unserer Landschaft zu suchen sein. Immer mehr Flächen werden zugepflastert und überbaut, wobei diese Versiegelung auch vor ökologisch wertvollen Gebieten kaum haltmacht. Vor allem aber dürfte die in den vergangenen Jahrzehnten immer intensiver betriebene Landwirtschaft eine entscheidende Rolle spielen. Wer einmal in einer solchen industriell genutzten Agrarlandschaft ohne Rückzugsflächen wie Feldränder und Hecken nach Schmetterlingen, Käfern und anderen Insektengruppen gesucht hat, weiß, wie gering dort die Arten- und Individuenzahlen sind.

Einsatz von Agrargiften

Allerdings schwinden auch in Naturschutzgebieten die Insekten dramatisch. So meldete dieser Tage der baden-württembergische Regionalverband des Nabu, dass die Ökologen am Randecker Maar am Albtrauf aufgehört hätten, Schwebfliegen zu erfassen. Dies sei nach einem Rückgang dieser Insektengruppe um rund 77 Prozent nicht mehr sinnvoll. Das Beispiel bestätigt den Trend in vielen anderen Schutzgebieten. Eine mögliche, wenn auch bisher nicht eindeutig bewiesene Erklärung der Ökologen: Der verbreitete Einsatz von Agrargiften wirkt sich so großflächig aus, dass auch geschützte Gebiete betroffen sind. Dabei erhärten verschiedene Studien nun den Verdacht, dass viele Insekten von diesen Giften zwar nicht unmittelbar getötet, aber doch stark geschädigt werden. Sie büßen an Lebenskraft ein und können sich dann auch nicht mehr so erfolgreich fortpflanzen.

Mehr Geld für Lebensmittel

Auch wenn sich Bauernverbände und andere Interessensgruppen massiv gegen solche Interpretationen wehren, so zeigen sie doch plausible Ursachen für das verhängnisvolle Sterben der Insekten auf. Darunter leidet auch der Mensch. Denn der kann unmöglich all die wertvollen ökologischen Dienstleistungen übernehmen, die Bienen, Käfer und andere Insekten vollbringen. Sie bestäuben Nutzpflanzen, ihre Larven bauen aber auch abgestorbene Organismen ab und vertilgen Schädlinge. Diese Funktionen, die bares Geld wert sind, lassen sich auf Dauer aber nur erhalten, wenn die Bauern umweltverträglicher wirtschaften. Doch wer das fordert, muss auch bereit sein, für Lebensmittel mehr Geld auszugeben.

klaus.zintz@stzn.de