Willfried Nobel, Professor und einst Stadtrat in Filderstadt, hat ein Buch namens „Ökologie“ geschrieben. Dieses Thema hat auch viel mit seinem eigenen Wirken zu tun. Denn er wollte immer etwas verändern.

Filderstadt - Wer nicht weiß, was man unter Kommensialismus versteht, der wird auf Seite 131 fündig: „Beim Kommensialismus genießt ein Organismus durch das Zusammenleben Vorteile, ohne den Partner zu schädigen.“ Beispiel gefällig? „Hyänen und Geier fressen das, was Raubtiere zurücklassen.“

 

Der Ausgangspunkt für ein fast 400 Seiten dickes neues Buch mit dem verwegenen Standardwerk-Titel „Ökologie“ und einer Seite über Kommensialismus lag gewissermaßen auf dem Schulweg seines Verfassers: „Mein Schulweg in Heidenheim an der Brenz ging am Wasser entlang, bei der Württembergischen Cattunmanufaktur gab es darauf immer Schaumberge“, sagt Willfried Nobel, dessen privater Briefkopf ihn als Hochschullehrer im Ruhestand und Regionalrat außer Dienst ausweist, „das Wasser war gefärbt, je nachdem, was gerade an Farben in der Manufaktur dran war. Für mich war es keine Frage, dass ich mich als Person im Studium mit dem Thema beschäftige.“

Erst schrieb er sich in Tübingen ein, „dort waren mir zu viel Leut‘, weil wir 300 Erstsemester waren“, dann Agrarbiologie an der Universität Hohenheim. „Da haben wir alle in einen VW-Bus reingepasst.“ Von 1993 bis 2006 forschte und lehrte er als Professor für Ökologie an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, viele Jahre engagierte er sich für die SPD im Gemeinderat von Filderstadt. „Wenn man was bewegen will, muss man sich halt in Entscheidungsgremien engagieren“, sagt er. Er sagt auch: „Man kann viel schwätzen. Man kann sich den Hintern breit drücken in sinnlosen Versammlungen und Sitzungen. Wenn dir das alles lästig ist, dann musst du halt irgendwas mal zu Papier bringen.“

Sich eine Meinung bilden und hinstehen

Sind Sie ein streitbarer Mensch, Herr Nobel? „Ja, auf jeden Fall. Und mit zunehmenden Alter auch ein unnachgiebiger. Man muss sich eine Meinung bilden und hinstehen. Die Erde kommt auch ohne den Menschen zurecht.“ Da kommt das dicke Buch mit dem Titel „Ökologie“ ins Spiel, bei dem Willfried Nobel die zweite Hälfte, in der es um nachhaltige Kommunalentwicklung geht, besonders wichtig ist. Vereinfacht gesagt, vertritt er in dem Buch die These, dass beim für eine nachhaltige Entwicklung erforderlichen Ausbalancieren der Lebensbereiche Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft/Soziales die Ökologie in der Regel zu kurz komme. Am Telefon sagt Willfried Nobel: „Wir leben im Wirtschaftssystem des Kapitalismus, und da dominiert die Finanzwirtschaft. Wenn’s Spitz auf Knopf steht, hakt sich die Ökonomie immer mit Soziales/Gesellschaft unter, und die Ökologie fällt hinten runter.“

Die Ökologie von Willfried Nobel ist eine höchst politische: Er mache armen Holzfällern im Amazonas keinen Vorwurf, sagt er in breitem Schwäbisch. Und dann hangelt er sich rhetorisch behände vom Kapitalismus über multinationale Konzerne bis zum „mangelnden Ausgleich zwischen Nord und Süd“. Er hat Jahrzehnte lang gleichzeitig Kommunalpolitik gestaltet und globale Zusammenhänge beobachtet, doch ein Wechsel in die Bundespolitik, sagt er, sei für ihn nie in Betracht gekommen: „Ich bin ein häuslicher Mensch. Reisen sind mir eigentlich fremd. Ich agiere am liebsten um mein Haus herum.“ Er lacht gerne, manchmal auch an für den Gesprächspartner schmeichelhaften Stellen, aber ohne dass der das Gefühl haben müsste, da wolle sich jemand anbiedern. „Ich mache das, was ich für richtig und notwendig halte“, sagt er.

Gerechtigkeitsfragen sind für ihn auch Eigentumsfragen, gerade was sein Spezialgebiet angeht, seinen Kampf gegen die Umwidmung landwirtschaftlich genutzter Böden auf der Filderebene in Bauland für Wohnen und Gewerbe. „Es geht um die Frage von Eigentum an Grund und Boden“, sagt Nobel. „Wir haben in der Region Böden höchster Güte, aber wir haben keine Möglichkeit, sie mit dem entsprechenden Schutzstatus zu versehen. Die Kommune hat das in der Hand. Das ist es, was mich so rasend macht.“ Er ist mit dieser Position in seiner eigenen Partei angeeckt und bei den Gewerkschaften. Er hat klare Prioritäten: „Wenn wir die ökologischen Grenzen nicht erkennen und das politische-gesellschaftliche Handeln bis hin zum ökonomischen Handeln darauf abstimmen, dann habe ich ein Problem.“

Arbeiterlieder bis in die frühen Morgenstunden

Er ist jetzt 71, aus nahezu allen Ehrenämtern hat sich der seit 30 Jahren verheiratete Vater zweier Kinder und Opa von vier Enkeln zurückgezogen, aber er wirkt für den Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg als Referent für Flächen- und Bodenschutz, und gerade erst wurde er als Stimmenkönig in Filderstadts ersten Stadtseniorenrat gewählt. Er lasse sich von niemandem mehr Vorschriften machen, sagt der Mann, dem seine Eltern als Kind erzählt haben: „Dich haben wir auf der Flucht verloren.“ Er ist in der Nähe von Schwerin geboren und verbrachte ein Jahr seiner Kindheit in einem Auffanglager in Backnang. Heute spielt er gerne Klavier und singt Arbeiterlieder „bis in die frühen Morgenstunden“.

Und nein, das Verhältnis vom Menschen zu seiner Umwelt gehe leider nicht als Kommensialismus durch: „Das könnte so sein, aber so ischs net.“