Der Präsident des Sparkassenverbands fordert einen Ausgleich für die Effekte der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und warnt vor den politischen Folgen.

Stuttgart - Immer mehr Banken und Sparkassen verlangen Geld für Guthaben, die Kunden bei ihnen haben. Nach Firmenkunden und vermögenden Privatkunden drohen Strafzinsen in Zukunft auch Sparern. Vor diesem Hintergrund sieht der Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands den Staat in der Pflicht, für einen Ausgleich bei den Bürgern zu sorgen. „Für die Altersvorsorge jedes Einzelnen sind Negativzinsen dramatisch“, sagte Peter Schneider unserer Zeitung. Der deutsche Staat als einer der Hauptprofiteure der Zinsentwicklung „wäre ohne Weiteres in der Lage, einen Teil davon an die Bürger zurückzugeben, um die Auswirkungen der Negativzinsen für die Altersvorsorge abzumildern“.

 

Wenn das erste Institut anfängt, ziehen alle anderen nach

Unter Experten gilt als ausgemacht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Mitte September den negativen Einlagenzins für Banken weiter absenken wird. Derzeit liegt er bei minus 0,4 Prozent.

Ein weiteres Absenken der EZB-Zinsen würde „Strafzinsen für alle und auf alle Einlagen“ wahrscheinlicher machen, sagte Schneider. Auch Sparkassen könnten sich dem nicht entziehen. „Wenn der erste relevante Wettbewerber mit Strafzinsen vorangeht, müssen die anderen nachziehen, sonst werden sie mit Einlagen geflutet, für die sie dann selbst Strafzinsen bei der EZB zahlen müssen.“

Der Mannheimer Ökonom Klaus Adam sieht keinen Grund, weshalb Sparkassen und Volksbanken Strafzinsen für alle Kunden und alle Einlagen einführen sollten. Die EZB werde im Falle einer weiteren Zinssenkung voraussichtlich auch kleinere Institute entlasten, sagte Adam. Geld, das diese Institute bei der EZB parken, soll dann zu einem Großteil von Negativzinsen ausgenommen werden. Nur darüber hinausgehende Einlagen würden mit negativen Zinsen bestraft. „Dies soll den Anreiz verstärken, dass die Institute mehr Kredite vergeben.“ Adam verweist auf die Schweiz, die so eine Regelung, bei der nur auf die letzten Einheiten negative Zinsen erhoben werden, seit Langem erfolgreich praktiziere. Die Schweiz gehört nicht zur Europäischen Währungsunion.

Strafzinsen bergen ein enormes politisches Risiko

Nach einer Umfrage des Finanzportals Biallo.de unter gut 1200 Banken und Sparkassen, an der sich rund 170 Institute beteiligt haben, erheben derzeit 112 Häuser Negativzinsen von einem Teil ihrer Kunden. Betroffen sind Firmenkunden und institutionelle Kunden mit hohen Einlagen. 30 Institute verlangen von vermögenden Privatkunden Geld für das Verwahren von Einlagen ab einer gewissen Höhe.

Schneider mahnt, Politiker dürften die Sparer mit den Folgen der Zinspolitik der EZB nicht allein lassen. Das sei politisch viel zu gefährlich. „Vor dem Radikalisierungspotenzial kann ich nur warnen“, sagte der Spitzenvertreter der Sparkassen im Land. Wenn die Politik das Thema noch länger verdränge, könne es zu spät sein.

Mit Blick auf die Altersvorsorge sagte Klaus Adam, dass die EZB nicht für die niedrige Verzinsung bei langfristigen Sparprodukten wie Lebensversicherungen verantwortlich sei. Langfristige negative Realzinsen, also nach Abzug der Inflation, seien ein weltweites Phänomen. Hier spiele auch die alternde Gesellschaft in vielen Ländern eine Rolle sowie die Präferenz zu sparen statt zu investieren. Adam warnte, Kritik an der EZB mit einem Ausstieg aus der Währungsunion zu verknüpfen. Er verwies auf Großbritannien, wo die Kritik an der EU die Brexit-Debatte angetrieben habe.

– „Bargeld wird zur heißen Kartoffel“